Hamburg. Beim Filmfest ist am Sonntag „Aus meiner Haut“ zu sehen. Warum die Voraussetzung für das besondere Werk „egofreies Schauspiel“ war.

Einer alten Weisheit der Navajo zufolge ziemt es sich nicht, über seinen Nächsten zu urteilen, ohne eine Meile in dessen Mokassins gelaufen zu sein. Diese Metapher hat Regisseur Alex Schaad zur Prämisse seines Langfilm-Debüts gemacht. In „Aus meiner Haut“ tauschen die Protagonisten jedoch nicht allein ihre Schuhe, sondern gar die Körper. Der in Schleswig-Holstein gedrehte Streifen mit Mala Emde („Und morgen die ganze Welt“) und Jonas Dassler („Der goldene Handschuh“) in den Hauptrollen feiert seine Deutschland-Premiere am Sonntag auf dem Filmfest Hamburg.

„Du bist der Mensch, der du bist, weil du den Körper hast, den du hast“, heißt es im Film – und was diese Annahme impliziert, tariert Regisseur Schaad rund 100 Minuten lang aus. Sein Werk lässt das Publikum einen Blick in die nur scheinbar heile Beziehungswelt von Leyla und Tristan – zu Beginn der Geschichte von Mala Emde und Jonas Dassler gespielt – werfen.

Filmfest Hamburg: Paar reist auf abgelegene Insel

Das junge Paar reist gemeinsam auf eine abgelegene Insel. Auf jenem Eiland findet sich in den letzten Sommertagen eine kleine, aber eingeschworene Gemeinschaft zusammen, die ein außergewöhnliches Ansinnen hat: Mithilfe eines magisch-spirituellen Rituals wollen sie ihrem Körper ent- und in den eines anderen hineinschlüpfen.

In „Aus meiner Haut“ wird der Trip auf die Insel für die einen zur Suche nach sich selbst, für die anderen zu einer Flucht davor. Es entspinnt sich eine Handlung, in der die unstete, durchlässige Grenze zwischen Körper und Geist ausgelotet wird. Inwiefern verändert sich das Lebensgefühl mit dem Äußeren? Liebe ich meinen Partner noch, wenn er in einem anderen Körper – gar dem eines anderen Geschlechts – steckt? Kann ein Körper von sich aus glücklicher sein als der andere?

„Es war ein ziemlicher Prozess, seine Rolle zu finden"

Für Jonas Dassler bestand die größte Herausforderung darin, die körperlichen und psychischen Ebenen der Figuren zusammenzubringen, berichtet er im Gespräch mit dem Abendblatt: „Es war ein ziemlicher Prozess, seine Rolle zu finden, zu entdecken, aber auch mitzuentwickeln.“ Vor Drehbeginn habe das Ensem­ble daher einen ganzen Monat lang auf dem Gut Wahlstorf, dem Schauplatz des Films, geprobt und die Figuren in einem theaterähnlichen Vorgang gemeinsam entwickelt.

„Das ist ja kein Dreh, zu dem du einfach hingehst und ablieferst – das ist eine Hommage an die Schauspielerei“, sagt Mala Emde mit Verweis darauf, dass die Protagonisten im Laufe des Films von mehreren Darstellern getragen werden. Die Voraussetzung für den Filmerfolg sei daher auch ein „egofreies Schauspiel“ gewesen, formuliert Dassler. Schließlich mussten sich die Ensemblemitglieder nicht allein auf ihre Rolle, sondern ebenso auf die Verkörperung derer durch ihre Kollegen einlassen. „Wir mussten uns schauspielerisch sozusagen blankmachen“, sagt Kollegin Emde, „und haben unseren Baukasten den anderen total offengelegt, was ziemlich bereichernd war – uns allen aber auch Mut gekostet hat.“

Filmfest Hamburg: Weltpremiere fand in Venedig statt

Für Regisseur Alex Schaad war die Weltpremiere beim Filmfestival in Venedig vor einigen Wochen „eine unglaubliche Ehre, ein Ritterschlag“. Ungefähr 36-mal haben er und sein Bruder Dimitrij das Drehbuch umgeschrieben, den Stoff über Jahre immer wieder gedanklich durchgekaut.

Doch nicht allein der künstlerische Prozess war ein Hindernislauf für die beiden. Alex Schaad hatte auch allerhand Schwierigkeiten zu überwinden, was die praktische Umsetzung der Filmidee anging: „Debütfilmen wird in Deutschland leider wenig vertraut“, so die Erfahrung des Regisseurs. „Deutschland ist ein vorsichtiges, fast feiges Land, was das Vertrauen in den Nachwuchs angeht.“ Etwas expliziter beschreibt es sein Bruder: „Das war schon manchmal wie pissen gegen den Wind.“

„Aus meiner Haut“ So 2.10., 21.00, Passage-Kino, Tickets: filmfesthamburg.de