Hamburg. Gelungener Abschluss des Kammermusikfests im Großen Saal der Elbphilharmonie. Kurioserweise ging es auch um das Patent für Zahnersatz.

Dass das Kammermusikfest im Großen Saal der Elbphilharmonie mit einem weit gefächerten Repertoire überrascht, ist schon eine kleine Tradition und nichts Neues mehr. Aber fürs Jubiläum haben die Hamburger Kammermusikfreunde nochmal einen draufgepackt: Die Vereinigung feierte am Sonntagabend den Abschluss der Festwoche zu ihrem 100. Geburtstag mit wenig bis gar nicht bekannten Werken aus vier Jahrhunderten, die selbst einen runden Geburtstag begehen oder gerade erst das Licht der Welt erblickt haben.

So entsteht ein bunter Mix: Hier eine Kostprobe aus dem Musicalischen Lüstgarte des Lüneburger Komponisten Johannes Schultz, entstanden 1622, da ein Satz aus Dvoraks frühem Klavierquintett von 1872 – und das Ganze gerahmt vom Beginn und Finale einer Kammermusikfassung der letzten Sinfonie von Schostakowitsch aus dem Jahr 1972.

Elbphilharmonie: Stücke manchmal ein bisschen kurz

Munter springt das Programm durch die Epochen, abwechslungsprall, aber auch etwas kleinteilig. Die Stücke sind manchmal ein bisschen kurz im Verhältnis zu den Umbaupausen.

Doch der Vereinsvorsitzende Ludwig Hartmann füllt die Lücken mit fluffigen Moderationen, er mischt Hinweise zu den Werken mit historischen Fakten aus ihren Entstehungsjahren. Leider ist die Allgegenwart des Krieges ein roter Faden, der von 1622 bis 2022 reicht und auch im 50-jährigen Abstand dazwischen nicht abreißt. Eine bittere Wahrheit, die aber durch nette Fun Facts abgefedert wird. Gut zu wissen, dass 1822 nicht nur das Klaviertrio von Johann Nepomuk Hummel zu Papier gebracht wurde, sondern auch das Patent für Zahnersatz – und das erste Buch in färöischer Sprache!

Elbphilharmonie: Programm findet gesunde Balance

Eine gesunde Balance aus ernsten und heiteren Tönen, aus emotionaler Tiefe und leichtfüßigen Momenten findet auch das Programm. Und mit ihm seine erstklassigen Interpretinnen und Interpreten. Die Geigerin Liza Ferschtman, die bei Schostakowitsch, Hummel und Ravel eine Fülle an Farben aus dem Instrument zaubert, von fahlen Grautönen bis zu glühender Leuchtkraft. Der Lautenist Alon Sariel, der mit seinem Ensemble Concerto Foscari die hochmoderne Barockmusik von Antonio Bertali entdeckt. Der aber auch, in einem besonders schönen Moment, allein mit einer Mandoline in einem Rang oben links steht und ein Bach-Präludium zupft, wunderbar fein und zart.

Die leisen Töne sind der Star des Abends. Ganz so, wie es dem Wesen der Kammermusik entspricht. Das bildet der Saal filigran ab. Auch beim starken Kuss Quartett, das nach Auftritten mit Dvorak und einem ideenblitzenden Haydn noch eine Uraufführung spielt: Sieben Miniaturen für Streichquartett von Mark André, meist im Flüsterton gehalten. Bögen streifen Saiten wie ein Lufthauch. Die Instrumente wispern, rauschen und raunen. Selbst das Einatmen ist zu hören. Geheimnisvolle Mucksmäuschensounds, am Rand der Stille. Faszinierend. Sowas kann (fast) nur die Kammermusik.