Hamburg. Die „Zerstreuung überall! Übungen in solidarischer Distanz“ vom Kollektiv Ligna bietet Befreiung aus dem großen Pandemie-Einigeln.
Fast hat man schon vergessen, wie die Pandemie und ihre Abstandsgebote zeitweise das Arbeiten im Theater bestimmt haben. Das Hamburger Medien- und Performance-Kollektiv Ligna etwa war ja bereits vorher für seine Audio-Walks bekannt, bei denen man, ausgestattet mit einem Kopfhörer und vielen Stimmen im Ohr, immer schon auf sich allein gestellt war – in einer Gruppe natürlich.
Das ist auch bei „Zerstreuung überall!. Übungen in solidarischer Distanz“ so. Die Produktion, die nun erstmals in Hamburg zu erleben war, ist ganz und gar ein Kind der Pandemie. Und doch ist sie zugleich universell und keinesfalls überholt.
Lichthof Theater: 14 Künstler leiten zu Übungen an – auf Parkplatz
An die 80 Mitwirkende versammeln sich auf dem Parkplatz vor dem Lichthof Theater, um an einem Radio-Ballett teilzunehmen und Perspektiven auf den Körper in der Krise zu lauschen. Suggestive elektronische Musik erklingt. „Wie haben Sie Ihre Stadt wahrgenommen, die leise Stadt? Was wurde hörbar?“, raunt eine Stimme durch den Kopfhörer.
Solchermaßen die Sinne geschärft, leiten kurz darauf 14 internationale Künstlerinnen und Künstler die Hörenden zu eigenen Übungen zu Wahrnehmung und Bewegung an. Es wird eine Reise in den eigenen Körper und in die Erinnerung an eine Zeit, in der das reale Reisen unmöglich war.
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Wann hat man sich zuletzt so schön zusammengeknäuelt?
Mit drei Metern Abstand zu den anderen werden schon die ersten zaghaften Bewegungen, das Emporrecken der Arme und der mit einem Bein gezogene Halbkreis fast zu einer neuerlichen Befreiung aus dem großen Einigeln. Angeleitet unter anderem von Bhenji Ra aus Australien, Edna Jaime aus Mosambik oder Yuya Tsukahara + contact Gonzo aus Japan bemühen sich alle, die gestellten Aufgaben zu erfüllen.
Man schnuppert an den eigenen Schuhen, beugt ein Bein und vollzieht Kreise mit den Händen. Erprobt die Schwerkraft, indem man an eine gerade Fläche lehnt oder fühlt sich auf allen Vieren wie ein Tier im Käfig. Und wenn es am Ende heißt, bitte einen Kreis bilden, dann ist der zwar erst ziemlich groß, aber als es dann darum geht, so dicht aufeinander zuzugehen, wie es gerade noch angenehm ist, entwickelt sich doch ein lustiges Knäuel aus Besuchern.
Die Pandemie ist zwar leider noch nicht vorbei, aber im Bewusstsein der ehemaligen Distanzgebote scheint auch eine solidarische Annäherung wieder möglich. Und das ist eine tolle Theatererfahrung.