Hamburg. Auch auf Kampnagel geht es bei der internationalen Veranstaltung ums Mitmachen. Etwa bei DJ Kid Koala.

Vor zehn Jahren wurde das Gängeviertel – erfolgreich – besetzt. „Komm in die Gänge“, lautete der Slogan. Fragen danach, wem die Stadt gehöre, wurden laut. Aber was weiß man über dieses Viertel? Die Hamburger Radiotheatergruppe Ligna hat dem Jubilar ein eigenes Geschenk gemacht und anlässlich des Internationalen Sommerfestivals einen aufwendigen Audio-Walk entwickelt: „Schafft zwei, drei, viele Gänge!“

Mit Kopfhörern und einer von 20 unterschiedlichen, raunenden Tonspuren ausgestattet, geht es in der Gruppe los. Bald erfährt man, das Gängeviertel galt als „Verbrecherquartier“, das Gewirr aus engen, lichtlosen Gassen, „finsteren Schluchten“, war nicht nur Wohnort der Hafenarbeiter, sondern auch Hort von Anhängern der Kommunistischen Partei und allem, was als „lichtscheues Gesindel“ galt, wie Prostituierte, Juden oder Anhänger der Swing-Musik.

Theaterspaziergänger tauchen in Geschichte ein

Der Gestapo war das ein Dorn im Auge, und so werden die Theaterspaziergänger zwischen Überresten einer Synagoge an der Poolstraße, auf Parkplätzen und vor roten Backsteinbauten selbst zu Verfolgern und Verfolgten. „Sie sind nun auf sich gestellt“, flüstert die Stimme im Ohr. In der Ex-Gestapo-Zentrale Stadthausbrücke wird auch in den Texten von Gefangenen und Gefolterten, in literarischen Erzählungen von Willi Bredel oder Hans Fallada Beklemmung spürbar. Die Erinnerung an diese Ereignisse wurde mit der Abrissbirne ausradiert. Heute steht hier kaum noch ein Haus, das älter ist als 150 Jahre (bis auf das gerettete Gängeviertel). Im Stadthaus plant ein Investor heute eine Einkaufspassage.

Der Reiz, als Gruppe gemeinsam und auch immer wieder mal getrennt die Stadt zu erwandern, befeuert die Teilnehmer, die selbst zu Akteuren in der Stadtkulisse werden. Jede Begegnung mit den ungläubigen Blicken und Kommentaren von Passanten, jede Beobachtung erhält eine Bedeutung. Ligna hat den Audio-Walk nicht nur exzellent recherchiert, er schärft auch den Blick auf die fragwürdige Stadtplanung der Gegenwart.

Zuschauer sind Teil der Konzerts

Um das Mitmachen, aktiv Teil einer Produktion werden, geht es auch bei Kid Koala und seinem „Satellite Turntable Orchestra“ auf Kampnagel. Denn das Orchester sind die Besucher. Vom DJ-Pult aus erklärt der liebenswürdige DJ und Grafikautor aus Montreal die Plattenspieler, um die sich die Zuschauer jeweils zu viert gruppieren. Und dann gilt es, Aufgaben zu erfüllen. Die richtige Platte in der entsprechend leuchtenden Farbe auflegen, Lautstärke hochziehen, Platte entschleunigen oder sogar scratchen. Das bringt Spaß und funktioniert im Zusammenspiel mit dem Meister, der die Basis mit seinen Rhythmen und der Stimme der isländischen Sängerin Emiliana Torrini legt, ziemlich gut. Die betörenden Live-Visuals, die Karina Bleau an zwei Aquarien mit „chemischem Puppenspiel“ beifügt, illustrieren das Ergebnis zum charmanten kleinen Konzert.

Zwei Festival-Beiträge, die belegen, wie inspirierend sein kann, sich jenseits von Mitmachtheater nicht nur passiv zurückzulehnen.

Internat. Sommerfestival bis 25.8., Kamp­nagel, Jarrestr. 20-24, Karten: T. 27 09 49 49