Hamburg. Das inklusive „Aussicht“-Festival, das noch bis zum 10. September läuft, ist mit zwei beeindruckenden Stücken gestartet.
Das angestammte Domizil des Monsun Theaters im Zentrum Ottensens wird wohl noch auf längere Zeit nicht bespielbar sein, erzählt Intendantin Francoise Hüsges – die vor zwei Jahren begonnene Sanierung zieht sich auf unbestimmte Zeit hin. Immerhin hat das Haus eine Ausweichspielstätte in einem Gewerbekomplex in der Gaußstraße gefunden, und die ist zumindest für das 2017 gegründete „Aussicht“-Festival ein Gewinn: Die neuen Räume bieten nicht nur eine gut bespielbare Bühne, sie sind im Gegensatz zum Stammhaus auch barrierefrei, und, um ehrlich zu sein, waren die steilen Treppen dort gerade bei einem Mixed-Abled-Festival, das Künstler mit und ohne Behinderung vereint, ein Anachronismus.
Entsprechend ist Hüsges’ gute Laune bei der „Aussicht“-Eröffnung am Mittwoch nachvollziehbar. „Das Haus ist zwar kaputt, aber uns gibt es noch!“ postuliert die Theaterleiterin. „Wir haben einen neuen Ort gefunden, und wir werden weiter neue Orte finden, da kann uns niemand abhalten!“
Monsun Theater feiert bei „Aussicht“-Festival Kunst als Kampf gegen Widrigkeiten
Theater als Weitermachen, trotz aller Widerstände – das passt zum Festivalkontext, das die Kunst als Kampf gegen Widrigkeiten feiert, zum Beispiel Widrigkeiten wie Behinderung. Und Mitglieder der Münchner Gruppe „Die Blindgänger“ okkupieren dabei begeistert das Foyer in einem Akt der Subversion.
Wobei der Fokus auf Behinderung ein zu enges Verständnis von „Mixed Abled“ darstellt: „Wir reden nicht nur von Teilhabe, sondern praktizieren sie auch“, beschreibt der Berliner Performer Roland Walter aus einem Hightech-Rollstuhl heraus sein künstlerisches Credo. „Wer daher nur an Menschen mit Behinderung denkt, fährt eingleisig.“
Walters eigenes Solo „RoLand“ ist entsprechend ein Zurückerobern der Bühne, trotz oder gerade mit seinem dünnen, kaum bewegungsfähigen Körper – eine beeindruckende, scharfsinnige Selbstermächtigungsperformance, die Behinderung nicht als Einschränkung versteht, sondern vielmehr als Material für berührende Kunst, die am Ende in bösen Humor kippt. Davor noch: „Familiengeschichten“ vom Hamburger Kollektiv Eisenhans, ein stärker textbasiertes Stück, das nach und nach das Konstrukt „Familie“ auseinandernimmt, Eltern-Kinder, Liebespaare, Wahlfamilien. Auch „Familiengeschichten“ funktioniert, allerdings auf einer anderen Ebene, die weit weniger formal geprägt ist, mehr inhaltlich motiviert. Was zeigt, welch weite Spannbreite inklusives Theater mittlerweile hat.
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Das „Aussicht“-Festival läuft noch bis Freitag, mit Gastspielen aus Hamburg, Bremen und Lahr, am Sonnabend werden die Highlights des Programms im Rahmen der Hamburger Theaternacht zu sehen sein. Es ist ein kleines Festival, aber es ist klug kuratiert, und es stellt den in Hamburg noch nicht durchgesetzten „Mixed Abled“-Begriff ins Zentrum: Der besagt, dass es nicht um Behinderungen geht, sondern um besondere Fähigkeiten. Die zumindest bei der Eröffnung beeindruckende Ergebnisse zur Folge hatten.
„Aussicht – Hamburgs Mixed-Abled-Festival“ bis 10. September, Monsun Theater, Gaußstraße 149, Tickets und Infos: www.monsun.theater