Hamburg. Die Berliner Elektropopper vertrieben Wolken und schlechte Laune. Ihr Auftritt in Hamburg war für die Band ein besonderer.

Diese Band ist eine Bannerträgerin des, Pardon, Scheißdrauf-und-ihr-könnt-mich-mal-Alle. Diesen Rang hat das Trio Großstadtgeflüster unter anderem seinem expliziten Zugriff auf die deutsche Sprache zu verdanken: „Ich muss gar nix außer schlafen, trinken, atmen und ficken/Und nach meinen selbstgeschriebenen Regeln ticken“, heißt es in einem ihrer emblematischsten Stücke. Die gelegentliche, nur scheinbar widersprüchliche Ego-Selbstbescheidung von Milennials wurde selten besser beschrieben. Im Stadtpark konnte man die derbe textende Elektropopband, die so tatsächlich nur aus Berlin kommen kann, nun am Donnerstagabend bewundern.

Bei einem Spätsommer-Open-Air-Konzert, das die allgemeine Anwendung eindeutig ordinärer Sprachbausteine sehr sicher herauszufordern drohte. Was war das für ein Schietwetter den ganzen Tag gewesen, es hatte geschüttet wie aus Kübeln. Das Geläuf im Stadtpark war ordentlich eingenässt. Aber was soll man sagen: Bei Großstadtgeflüster blieb es trocken, weil die „Fickt-Euch-Allee“ eben einfach so ist: ein geschmeidiger Untergrund für alle, die ins Königreich adoleszenten und postadoleszenten Unangepasstseins rauschen wollen.

Großstadtgeflüster wirkte auf stattlicher Bühne extramotiviert

Ja, die „Fickt-Euch-Allee“. Großer Song, ein moderner Klassiker fast schon, ist jetzt auch schon ein paar Jährchen alt. Im Stadtpark war er wie überall sonst als größter Hit Großstadtgeflüsters der späte Höhepunkt eines Konzerts, bei dem den grauen Ausläufern warmer Tage mit bunten Beats und lässigen Lines getrotzt wurde. Regentropfen? Hatten fast keine Chance. Aber, so kam es einem vor (vielleicht war es auch das Bier des Nachbarn), ein bisschen weinte der Himmel doch, das musste mit royalen Briten zu tun haben.

Wer das aus Sängerin Jen Bender, dem Keyboarder Raphael Schalz, einem gebürtigen Bremer, und dem Schlagzeuger Chriz Falk, der 2008 fünf Jahre nach deren Gründung zur Band stieß, bestehende Dreiergespann kennt, weiß um die Großstadtgeflüster-Live-Qualitäten. In Hamburg, auf stattlicher Bühne („Das größte Konzert, das wir je gespielt haben“), wirkte die Band extramotiviert. Und das, obwohl oder gerade weil die Sängerin Jen Bender gerade erst von einer Corona-Infektion genesen war.

Die Songs von Großstadtgeflüster sind tanzkompatibel

Dass es mit „Auf alles“ losging, passte gleich doppelt - „Ich will jetzt da hoch in die Wolken/Ja, da oben will ich sein“ sang Jen Bender dem Publikum entgegen, und dann: „Macht euch bereit, ich bin gleich soweit/Dann scheiß' ich auf alles“. Wollte man das alles soziologisch ernstnehmen, wäre die von der Regenjacken-Wackel-Legion vor der Freilichtbühne fröhlich begrüßte Slacker-Attitüde eher besorgniserregend. Wobei ein Stück wie „Ende Gelände“ („Ich hab keinen Bock mehr…“) beim Publikum auch aufgrund von Animationskünsten („Wie viel Temperament habt ihr heute Abend? Lass mal Flamenco starten, das ist wie ZDF Fernsehgarten, nur vier Mal schneller“) für das Gegenteil von Phlegma sorgte. Jawoll, die Songs von Großstadtgeflüster sind tanzkompatibel.

Böse Menschen sagen, in manchen Momenten sei die Band Deichkind für Arme; weniger böse wissen, dass der Hamburger (Text-)Genius nicht einfach nach Berlin zu transferieren ist. Der live ziemlich geknüppelte Electropop von Großstadtgeflüster ist aber nicht schlecht. Und hat auch Popsongs wie „Blaues Wunder“ im Programm.

Großstadtgeflüster ist zum Aushängeschild des gutgelaunten Ballerpop geworden

Mehrfach erinnerten die Musiker an einen frühen Hamburgauftritt („Unser überhaupt erstes ausverkauftes Konzert war 2010 im Haus 73“). Seitdem ist Großstadtgeflüster zum populären Aushängeschild des hedonistischen, gut gelaunten Ballerpop geworden; Drummer Chriz Falk gab auch in Hamburg dem Sound seinen satten Rhythmus, während Jen Bender und Raphael Schalz als Hupfdohlen bemerkenswert engagiert Sinn und Ziel der Großstadtgeflüster-Agenda (Kein Bock! Ich muss gar nix außer Party!) vorsprangen.

War schon alles gut so, Remmidemmi mit Berliner Drall auf der Finalrunde der Stadtparksaison. Am Ende gab‘s die „Fickt-euch-Allee“ mit Konfettikanonen und, tatsächlich, „Diadem“ („Ich bin eine Prinzessin, Du Ficker“). Schon komisch, das Nebeneinander (Jen Bender: „Ich glaube, die Queen hat gerade stolz auf uns herunter geschaut“) von weltgeschichtlichen Ereignissen und der Show, die immer weiter gehen muss.