Hamburg. „Marleen“, „Er gehört zu mir“ und viel mehr: Die Sängerin wurde in der Barclays Arena begeistert gefeiert. Ein Abend voller Sehnsüchte.

„Ein halbes Jahrhundert ist kein Pappenstiel“, sagt Marianne Rosenberg während ihres Hamburg-Konzerts. „Ich habe durchgehalten, weil ich nicht immer das gemacht habe, was von mir erwartet wurde.“ Ein wenig Trotz und viel Selbstbehauptung klingt an in diesen Worten. Und auch die Ahnung, wie groß die Widerstände gewesen sein mögen, als sich die Sängerin vom Schlager der 70er-Jahre aus immer wieder neu ausprobiert hat.

Über Punk und Electro-Pop bis hin zu Chansons und Musical. Benannt ist ihre Tour nach ihrem Nummer-eins-Album „Im Namen der Liebe“ aus dem Jahr 2020. Sie ist noch da. Und wie. Und so gerät ihr Auftritt in der Barclays Arena – mit zwei Jahren pandemie-bedingter Verspätung – zu einem glamourösen wie menschlichen Rückblick auf ihre 50-jährige Karriere im deutschen Showgeschäft.

Marianne Rosenberg: Show begann mit ihrem ersten Hit

Die gut zweistündige Show beginnt mit ihrem ersten Hit „Mr. Paul McCartney“, den sie 1970 mit nur 15 Jahren sang. „Marianne“-Rufe erschallen, als sie in einem knallpinken Hosenanzug die Bühne betritt. In ihrer Stimme schimmert nach wie vor das Mädchenhafte durch, befeuert allerdings von reichlich Lebenserfahrung. Mit der Nummer „Diva“ von ihrem gleichnamigen Album verneigt sich Marianne Rosenberg vor ihren musikalischen Heldinnen.

Vor Diana Ross, Donna Summer, Cher und Grace Jones. Fulminant feiert sie diese Königinnen von Soul, Disco und Pop. Und sich selbst. Lässt sich einen Federboa-Umhang umlegen und stolziert schwungvoll wippend zum rhythmischen Wumms ihrer achtköpfigen Band durchs Rampenlicht. Großes Klangkino mit Streichquartett und zwei Keyboards. Das Ganze flankiert von zwei lässigen Ballett-Tänzerinnen in Schwarz. Nicht kleckern, sondern glitzern.

Marianne Rosenberg versprüht funkelnde Lebensfreude

Das Geschehen versprüht familiäre Leichtigkeit und zugleich funkelnde Lebensfreude, die aufs Publikum überspringt. Denn schließlich möchte Marianne Rosenberg eine Zeit zelebrieren, „in der sich Liebende noch auf dem Dancefloor kennenlernen konnten“. Und so erhebt sich zu ihrer Variante von Gloria Gaynors „Never Can Say Goodbye“ auch direkt ein Paar aus den Sitzreihen und setzt zum Discofox an. Und zu ihrer deutschsprachigen Version von Thelma Houstons „Don’t Leave Me This Way“ springen immer mehr enthusiastisch auf. Bis schließlich mit der Neuauflage ihres Klassikers „Marleen“ ein erster Partykellerhöhepunkt erreicht ist.

Rund 1100 Fans jubeln ihrem Star in der „Theatervariante“ der Arena zu. Das scheint erst einmal wenig für eine Halle, die bis zu 15.000 Menschen fassen kann. Doch der vergleichsweise intime Rahmen hat den schönen Vorteil, dass man bald alle rundherum zu kennen meint. Ein Halbkreis Buntes: Die Paartanzecke rechts und die Marianne-Ultras links, die immer wieder mit lautstarken Kommentaren wie „Geiles Outfit“ oder „Wir lieben Dich“ den Abend anheizen.

Marianne Rosenberg – die gute Seite des Schlagers

Die Freundinnen mit den bunten Paillettenstirnbändern. Das textsichere Bärchen-Pärchen, das sich immer wieder ganz fest umarmt. Und die ältere Dame, die inbrünstig vor allem die Herzschmerz-Nummern mitsingt. Lieder wie „Ohne Dich“. Stolze Trennungshymnen, die über Hürden und durch den Alltag helfen.Marianne Rosenberg repräsentiert die gute Seite des Schlagers, die alle mit einbezieht. Das zeigt sich nicht nur in ihrer divers besetzten Band, sondern auch in ihren Statements „für mehr Toleranz und Gemeinschaftsgefühl“.

Gleich zwei Mal baut sie ihren Überhit „Er gehört zu mir“ in ihr Set ein. Ein großes Schwelgen und Schwofen im Saal. Marianne Rosenberg lässt alle Teile ihrer Vergangenheit hochleben. Beim Heileweltbombast von „Du berührst mich“ droht ihre Stimme ein wenig unterzugehen in der Dramatik des Sounds. Eindringlich zum Strahlen gelangt ihr Gesang wiederum bei „Der Traum ist aus“, ein Stück ihres engen Freundes Rio Reiser, der 1996 starb.

Marianne Rosenberg entfacht Sehnsucht

Ausführlich erzählt sie, wie sie mit dem Ton Steine Scherben-Sänger einst in der Berliner Schaubühne aufgetreten war, verstärkt durch Blixa Bargeld von der Avantgarde-Band Einstürzende Neubauten. „Der Politheld und die Schlagersängerin – das hat das Publikum damals erregt“, erinnert sie sich. Ein Foto auf der Bühnenleinwand zeigt Reiser und Rosenberg in Schwarz-Weiß. In Aktion, kantig, wild. Eine andere Seite. Eine von vielen. Doch was immer da ist: die Liebe, die Leidenschaft und auch der Schmerz.

Wenn sie Zeilen singt wie „Liebe ist ein Fremder im Cabrio“, dann beschwört Marianne Rosenberg vor allem jene Momente herauf, die einfach vorbeiziehen. Sie entfacht die Sehnsucht nach einer nicht realisierten Liebe und die Schönheit, die darin liegt, sich eine andere Existenz auszumalen. Diese bittersüße Träumerei ist früh angelegt in ihrem Werk, etwa in ihrem zweiten großen Hit „Fremder Mann“ von 1971, den sie als Zugabe singt. Erneut eingehüllt in einen pinken Umhang, der sich weit aufwölbt und ihr etwas Schwebendes verleiht. Diva, wem Diva gebührt.

Marianne Rosenberg: Mehr Rückschau geht nicht

Und ganz zum Schluss, nach weiteren heftigen „Zugabe“-Rufen, da singt Marianne Rosenberg, nur vom Piano begleitet, das alte neapolitanische Lied „Torna a Surriento“. Jene Nummer, mit der sie mit nur 14 Jahren bei einem Talentwettbewerb im Romanischen Café im Berliner Europa-Center entdeckt wurde. Und fast hätte man sich gewünscht, noch länger so ganz puristisch ihrer Stimme lauschen zu können. Aber dann: Verneigung, Applaus, Abgang. Denn mehr Rückschau geht letztlich nicht. Ein großer schillernder Bogen.