Hamburg. Eine Badeanstalt wird zur Metapher für die Demokratie-Tauglichkeit unserer Gesellschaft: „Freibad“ von Doris Dörrie.

Polizeiautos rasen mit Blaulicht und Tatütata an, ein ganzes Aufgebot an Männern in Uniform stürmt das Freibad. Und alle voller Erwartung. Denn es wurde eine „Weiberprügelei“ gemeldet. Im Frauenbad. Als sie ankommen, sind die Herren indes enttäuscht. Alles ist ganz friedlich. Und die Transfrau am Würstl­grill verunsichert sie noch mit anzüglichen Anspielungen.Und doch brodelt es in diesem Bad und der Sommerhitze. Die ur-bayrischen Freundinnen Eva (Andrea Sawatzki) und Gabi (Maria Happel) beobachten das Areal argwöhnisch und kommentieren das bissig wie einst Waldorf und Statler die Muppet Show.

Die junge Dicke, die sich in einen Bikini zwängt. Die türkischen Frauen, die immer so laut sind und einen kleinen Jungen bei sich haben. Dann zieht Yasemin (Nilam Farooq) auch noch im Burkini ihre Runden im Pool. Da sind nicht nur die beiden Feministinnen schockiert („Jede Verschleierung ist eine Attacke auf uns“), sondern auch die assimilierte Großmama („Ach Kind, du siehst so arabisch aus“).

Kinokritik: Im Freibad werden Fronten gezogen

Ein Graben zieht sich mitten durchs gepflegte Freibad: Da werden Territorien verteidigt und Fronten gezogen. Bis eines Tags ein ganzer Tross junger reicher Syrerinnen vollverschleiert ins Bad strömt: Flüchtlinge aus der Schweiz, nach dem dortigen Burka-Verbot. Nun ist wirklich Krieg angesagt: zwischen den Münchner Althippies, den integrierten Türkinnen der zweiten, dritten Generation und den selbstbewussten Syrerinnen, die sich nicht verschleiern, weil es ihnen aufgezwungen wurde, sondern weil es ihr Glaube ist.

Ein Wort gibt das andere, es wird schon mal geschubst. Dann rutscht eine Hand aus, fast ein Versehen, was aber eine Kettenreaktion an Ohrfeigen auslöst. Schon zerren die einen am Schleier der anderen. Stürzen die ersten Damen ins Wasser. Und nun muss die Polizei noch mal anrücken. Weil es jetzt wirklich eine Frauenprügelei gibt.

Doris Dörrie macht aus traurigem Anlass eine Komödie

„Freibad“, der neue Film von Doris Dörrie, hat leider einen traurigen Anlass. Denn von Übergriffen, Gewalt und Polizeieinsätzen in Freibädern war in letzter Zeit viel zu lesen. Auch in Deutschlands einzigem Freibad nur für Frauen, das es wirklich gibt, in Freiburg. Die Regisseurin hat daraus aber kein bierernstes Drama gemacht, sondern eine herrlich überdrehte Komödie. Denn das Freibad ist für sie eine Metapher auf die Demokratie: eine Welt im Kleinen, wo auf engstem Raum die unterschiedlichsten Schichten und Weltanschauungen aufeinanderprallen.

Und man ungefiltert studieren kann, wie weit her es wirklich ist mit der Toleranz und Weltoffenheit, derer wir uns so rühmen. Ist es noch Feminismus oder schon übergriffig oder gar fremdenfeindlich, wenn man schon immer für Frauenrechte gekämpft hat, nun aber anderen Frauen vorschreiben will, was man anziehen darf und was nicht? Oder im Umkehrschluss: Wie viel man von sich entblößen darf oder verhüllen sollte?

Dreharbeiten bei 14 Grad

Dörries Freibad wird da zum Vielfrontenkrieg. Denn da ist auch noch die Transfrau Kim (Nico Stank), die phallische Würstchen grillt – und wegen der Musliminnen auf Lamm umstellt. Eine schwarze Bademeisterin, die aber keine Wurzeln aus Afrika, sondern aus der Schweiz hat. Und schließlich muss man, der Niedergang des Abendlandes, aus Ermangelung an genug Frauen in dem Berufsfeld auf einen Bademeister (Samuel Schneider) zurückgreifen.

Doris Dörrie hat das Drehbuch nicht wie üblich allein, sondern mit zwei anderen Autorinnen geschrieben: um allen Seiten gerecht zu werden. Die Dialoge sind gewitzt und messerscharf. Und die Schauspielerinnen spielen mit sichtlichem Spaß. Schien ja auch ein Zuckerschlecken, solche Dreharbeiten draußen im Freibad. Und absolut corona-unbedenklich. Man sieht es den knallbunten und lichtdurchfluteten Bildern nicht an, dass die Dreharbeiten in einem der kühlsten bayrischen Sommer gedreht wurden und das Ensemble bei 14 Grad schlottern musste.

Kinokritik: Reizthemen werden offen angegangen

Vor allem aber traut sich dieser Film was. Auch im deutschen Kino gibt es ja immer mehr Bedenkenträger, die sich, aus Angst vor dem nächsten Shitstorm, gar nicht mehr trauen, Tabuthemen anzusprechen, die auch nur ansatzweise polarisieren könnten. Doris Dörrie dagegen geht Reizthemen wie die Kopftuch- und Burkini-Debatte, aber auch Oben-Ohne offen an. Und übertreibt sie charmant nur mal so eben, dass man darüber lachen muss. Lachen ist ja immer eine gute Form der Selbsterkenntnis.

Der Zuschauer darf sich da auch ein bisschen wie Waldorf und Statler fühlen und den Kopf schütteln über das Treiben auf der Leinwand. Bis er sich selbst in der einen oder anderen Intoleranz wiedererkennt. Und das Lachen im Hals stecken bleibt.

„Freibad“ läuft in der Passage, der Koralle, im Holi und im UCI Othmarschen Park