Hamburg. Erfolgsregisseurin Doris Dörrie spricht über ihren neuen Film, Ausschreitungen in Freibädern und die Feigheit mancher Produzenten.

Ins Freibad drängt es bei den derzeitigen Temperaturen ja viele. Auch wenn das kühle Nass da gar nicht so kühl ist, wie man sich das wünschte. Ob sich deshalb so viele Gemüter dort erhitzen und es immer mal wieder zu Ausschreitungen kommt. Doris Dörrie hat dazu jetzt den passenden Film geliefert: „Freibad“ kommt am 1. September in die Kinos.

Dabei hat sich die Erfolgsregisseurin von einer Eskalation im einzigen Frauenbad der Bundesrepublik inspirieren lassen – hat das aber auf höchst humorvolle Weise umsetzt. Wir haben die 67-Jährige dazu gesprochen.

Hamburger Abendblatt: Frau Dörrie, erst im letzten September lief im Kino der Film „Beckenrandsheriff“, jetzt kommt Ihr „Freibad“. Ist das ein neuer Trend? Geht der deutsche Film baden?

Doris Dörrie: Nein, das ist reiner Zufall. Die Filme haben ja auch gar nichts miteinander zu tun. Und mit Trends habe ich es ja ohnehin nicht so.

Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Film? Wegen der Nachrichten über Streitigkeiten, Übergriffe und Polizeieinsätze in Freibädern, von denen man immer häufiger hört und liest?

Dörrie: Das poppt tatsächlich immer häufiger auf. Meine Schwester hat mir so etwas erzählt. Ich habe das selbst ansatzweise in einem Freibad erlebt. Und man liest immer wieder davon. Da dachte ich: Da treffen ganz unterschiedliche Schichten und Weltanschauungen aufeinander. Und das Freibad ist doch vielleicht eine herrliche Metapher auf dieses Land – und auf Demokratie. Wir glauben ja meist von uns selbst, wahnsinnig tolerant zu sein, sind es aber vielleicht gar nicht, wenn man in der Praxis auf engem Raum aufeinanderprallt.

Und wieso dann ein reines Frauenbad?

Dörrie: Eine solche Streiterei gab es auch im einzigen deutschen Frauenbad in Freiburg. Das ist also nicht nur ein Männerding. Einmal diesen sogenannten alten weißen Mann einfach draußen vor der Tür zu lassen und nur von Frauen erzählen zu können, ist mir aber nah. Denn ich bin unter so vielen Frauen aufgewachsen, ich habe drei Schwestern, meine Eltern waren beide Frauenärzte, ich wuchs in einem gynäkologischen Krankenhaus auf. Und ich habe sehr früh miterlebt, wie Frauen sich gegenseitig be- und abwerten. Und welche Härte das auch hatte.

Sie schrieben erstmals das Drehbuch nicht allein, sondern mit zwei Kolleginnen. Um all diesen Positionen gerecht zu werden?

Dörrie: Ja, das war für mich bei diesem Film ganz entscheidend. Sonst schreibe ich meine Kinofilme immer allein. Aber hier lag auf der Hand, dass es auch andere Perspektiven geben musste. Ich wollte das nicht nur in meinem Gehirn ausbrüten – und dann doch haarscharf daneben liegen, weil es nur recherchiert und angelesen gewesen wäre. Dieses Zusammenschreiben war eine tolle Erfahrung. Madeleine Fricke ist eine andere Generation, sie war vor langer Zeit meine Studentin, und Karin Kachi hat migrantischen Hintergrund. Wir haben das wie in einem Rollenspiel miteinander gespielt. Und sind so spielerisch, multiperspektivisch und zugleich sehr lustig an die Konflikte gekommen.

Das Schöne ist: Es geht dabei mal nicht nur um Urdeutsche und Migranten, Sie weiten das auf: da sind aufgeklärte, assimilierte Türkinnen, die schon in zweiter, dritter Generation hier leben, und streng gläubige Araberinnen mit Kopftuch.

Dörrie: Ja, das sollte ein möglichst lustiger Film über Toleranz, Freiheit und Selbstbestimmung werden, der aber auf knallharten Kämpfen basiert. Ich habe etwa mit Schweizer Freundinnen gesprochen, alte, linke Feministinnen, die aber für das Burka-Verbot gestimmt haben, weil sie meinen, dass eine Verhüllung immer religiös-politisch motiviert ist, um Frauen zu unterdrücken. Ausgerechnet diese Frauen, die für die Freiheit der Frau gekämpft haben, wollen nun anderen Frauen vorschreiben, wie sie auszusehen haben! Das ist doch interessant, absurd, aber auch Anlass für Humor und Selbstironie.

Ob Hidschab oder oben ohne – das sollte jeder selber entscheiden dürfen?

Dörrie: Aber unbedingt! Solange es selbstbestimmt ist. Leider, und das ist der tragische Untergrund dieses Films, sind wir ja wieder in alte Zeiten gerutscht, wo ständig über den Körper der Frau bestimmt wird. Was da gerade in Amerika mit dem Abtreibungsrecht passiert ist, hätte ich mir nie träumen lassen. Aber überall, auch bei uns, sind Rechtskonservative auf dem Vormarsch. Und das erste, was sie versuchen, ist, über den Körper der Frau zu bestimmen. Warum? Es ist immer noch ein Ausdruck von Macht.

Dennoch: Die Kopftuch-Debatte ist auch bei uns ein heißes Eisen. Hat man da auch Angst, missverstanden zu werden? Dass gar ein Shitstorm droht?

Dörrie: Es ist doch fast egal, was man sagt, einen Shitstorm riskiert man so oder so. Aber es stimmt schon, viele Finanziers hatten Schiss. Da hieß es schnell: Da könnten doch die und die sauer sein, und das werde ja vielleicht gefährlich. Ich bin da richtig erschrocken, wie groß die Angst ist, vor allem bei den Sendern. Die große Gefahr ist aber doch die: Wenn wir so zahm werden und so weichgespült, dass wir uns Konflikten gar nicht mehr aussetzen, sie gar nicht mehr miteinander austragen wollen, sondern alles nur noch unter den Teppich kehren – dann habe ich Angst, dass die Konflikte darunter umso heftiger brodeln.

Da half auch Ihr Name nichts bei der Finanzierung des Films? Sie sind doch ein Garant dafür, ernste Gesellschaftsthemen humorvoll aufzubereiten.

Dörrie: Bin ich das? Vielleicht zeigt das auch den Gradmesser der Angst und dass Themen, die noch deutlich härter sind als unsere, gar keine Chancen mehr haben. Wir müssen uns wieder was trauen. Vielleicht müssen wir das konstruktive Streiten auch wieder üben.

Wie ist denn Ihr persönliches Verhältnis zum Freibad?

Dörrie: Als Teenager fand ich das furchtbar. Weil ich, wie alle jungen Frauen, den Blicken der Jungs ausgesetzt war. Aber auch denen der anderen Mädchen und Frauen. Das habe ich als sehr verletzend erlebt, und so ganz kommt keine Frau über die Bewertungen ihres Körpers hinweg. Heute ist es mir allerdings wurscht, und ich gehe mit großer Hingabe ins Freibad.

Geht das überhaupt noch? Werden Sie da nicht überall erkannt und angegafft?

Dörrie: Darum schere ich mich nicht. Wenn ich damit anfangen würde, würde ich ja paranoid werden. Ich habe auch Aquajogging gemacht, wie Andrea Sawatzki im Film. Das sieht echt wahnsinnig doof aus, es ist aber sehr gesund und effektiv. Als ich das gemacht habe, schwamm eine Frau langsam an mir vorbei und kritisierte meinen letzten Film. Das ist doch irre komisch.

Sind Sie dann auch ein bisschen wie Maria Happel und Andrea Sawatzki in Ihrem Film: Beobachten Sie im Freibad die anderen um sich herum? Oder traut man sich schon gar nicht, sich neben Sie zu setzen? Aus Angst, Sie sammeln Stoff für künftige Bücher?

Dörrie: Nein, gar nicht. Im öffentlichen Raum bin ich immer absichtslos unterwegs. Nicht um irgendwas aufzuschnappen. Aber das passiert dann einfach. Wie etwa beim Aquajoggen.

Andrea Sawatzki lässt für Sie die Hüllen fallen. Wie schwer war es, sie dazu zu überreden?

Dörrie: Sie hat da schnell zugesagt. Weil sie mir vertraut. Aber es ist natürlich schwierig, wir leben in Zeiten des Internets, wo Bilder für immer und ewig kursieren. Und natürlich ist es eine schwierige Balance, sie und die anderen Körper zu zeigen, so wie sie sind, die Schauspielerinnen aber zugleich auch zu beschützen und nicht wieder einem Blick, ob Male oder Female Gaze, auszusetzen. Ich hoffe, dass uns das gelungen ist. Ich habe mir vorab mit dem fertigen Film das Placet von allen Beteiligten geholt, allen voran von Andrea Sawatzki. Aber es ist eine Gratwanderung, weil man so vielfältige Körper ja sonst nicht im Kino sieht. Unsere Manie, alle Oberflächen glattzubügeln, halte ich für komplett kontraproduktiv. Wenn wir uns alle nur noch mit Schönheitsidealen vergleichen, können wir nur verlieren. Dann sehen wir alle furchtbar aus. Immer.

Wir müssen noch auf das „Frauencatchen“ zu sprechen kommen. Früher war das ja mal eine ausgesprochene Altherrenfantasie. Am Anfang Ihres Films stürmen Polizisten das Bad, weil Frauen sich prügeln sollen. Da werden die Erwartungen noch enttäuscht. Später kommt es doch dazu. Ist das jetzt der neue Feminismus, das selbst zu machen?

Dörrie: Es ging nicht darum, irgendein Schlammcatchen zu inszenieren. Das war ja bei Russ Meyer sehr beliebt. Ich wollte einen Kampf zeigen, der wirklich mit harten Bandagen ausgefochten wird. Das hat schon Spaß gemacht. Und einer anderen Frau an den Niqab zu gehen, das überschreitet ein Tabu. Aber auch Eva, die sich so gern nackt zeigt, wird noch mal ganz anders entblößt. Das hat viele Ebenen.

Warum startet der Film erst im September? Müsste er nicht zur Sommerzeit kommen?

Dörrie: Ich habe keine Ahnung. Starttermine sind so kompliziert – gerade durch die Verschiebungen durch Corona. Und das Kino ist zur Zeit in einer schwierigen Situation. Aber seit gestern glaube ich zu wissen warum. Eine Freundin hat es mir so erklärt: „Wenn ich die Wahl habe, entweder ins Kino zu gehen oder mich mit Freunden zu treffen, dann treffe ich mich jetzt mit Freunden. Weil ich nicht weiß, wie lange ich das noch darf, und weil ich’s so lange nicht mehr hatte.“ Und wenn ich mich selbst befrage, muss ich sagen: Ja, genauso mache ich es gerade auch. Aber ab September gehe ich wieder ins Kino.

„Freibad“ startet am Donnerstag in den Hamburger Kinos