Hamburg. Das Filmdrama von Ozon handelt vom Verlieren und Loslassenkönnen. „Alles ist gutgegangen“ ist ab Donnerstag in ausgewählten Kinos.
Es ist ein grausamer Satz. Eine Last, die man eigentlich niemandem aufbürden, niemandem zumuten kann. Schon gar nicht den eigenen Kindern. Und doch: „Du musst mir helfen, Schluss zu machen.“ Dies erbittet, nein, dies fordert ein Vater von seiner Tochter im neuen Film von François Ozon, der am Donnerstag in die Kinos kommt. „Alles ist gutgegangen“ ist die schonungslose Dokumentation eines Sterbens, und sie kommt ohne langen Umschweife sofort zur Sache.
Gleich zu Beginn klingelt das Telefon bei Emmanuèle Bernheim (Sophie Marceau) und verändert ihr Leben schlagartig. Ihr Vater André (André Dussollier) hatte einen Schlaganfall und liegt schwer gezeichnet im Krankenhaus. Er kann kaum noch sprechen und sich kaum mehr bewegen. Mit ihrer Schwester Pascale (Géraldine Pailhas) oder auch allein wacht Emmanuèle an seinem Bett, ordnet ihren ganzen Alltag der Fürsorge unter. Und das, obwohl der Kranke nicht gerade ein einfacher und schon gar kein liebevoller Vater ist.
Kino Hamburg: Kunstsammler wird ein Pflegefall
Aber man steht das durch und tröstet sich mit typischen Sätzen wie: Wird schon wieder, ist ja nur für eine Zeit. Der Kunstsammler weiß es mit seinen 85 Jahren indes besser: Ab nun wird er ein Pflegefall und das Leben nie mehr so sein, wie er es für lebenswert hält. Daher diese letzte Zumutung an seine ältere Tochter: Hilf mir, Schluss zu machen.
François Ozon ist einer der vielseitigsten Filmemacher Frankreichs, der mühelos zwischen Komödien und Gesellschaftsdramen wandelt. Und das unermüdlich: Gerade erst hat er auf der Berlinale seine Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“ vorgestellt, da kommt nun bereits der Film ins Kino, der letztes Jahr auf dem Filmfestival in Cannes Premiere hatte.
François Ozon ein großer Frauen-Regisseur
Und während der neue Film stark stilisiert und satirisch überhöht ist, wird „Alles ist gutgegangen“ ganz nüchtern und unsentimental erzählt, fast steril, passend zum Krankenhaus-Umfeld. Doch auch er steckt voller komischer Momente. Und wird wieder ganz aus der Perspektive einer Frau erzählt. Wie so oft, François Ozon ist ein großer Frauen-Regisseur. Dafür hat er einmal mehr eine starke Schauspielerin gefunden: Sophie Marceau, mit der er schon immer zusammenarbeiten wollte und die damit nach ein paar Jahren ohne größere Arbeiten eine Art Comeback feiert. Und was für eins.
„Alles ist gutgegangen" thematisiert Vorurteile gegenüber Sterbehilfe
Denn es ist eine Achterbahn der Gefühle und inneren Konflikte, die sie da spielt. Wie sie erst geschockt ist von der Bitte des Vaters, wie sie das erst einmal verdrängt und dagegen ankämpft, wie dabei auch alte Verletzungen wieder aufreißen. Wie sie und ihre Schwester schließlich eigene Vorurteile und Befindlichkeiten überwinden. Und dann auf ganz andere Schwierigkeiten stoßen: weil Sterbehilfe in Frankreich ebenso verboten ist wie in Deutschland.
Wie sie deshalb Hilfe im Ausland suchen. Und welche bürokratischen und juristischen Fallstricke dabei zu bewältigen sind. Und dann ist da noch das Umfeld, das genauso konsterniert reagiert wie sie anfangs. Und die Reise ins Schweizer Sterbehospiz, die in letzter Sekunde noch torpediert werden könnte. Dabei wird der Film durch Zeitangaben strukturiert, wie eine tickende Uhr, und so fast zu einem Thriller, ob sie es rechtzeitig schaffen, ob der Vater noch so lange bei klarem Verstand bleiben wird, um bestätigen zu können, dass sein letzter Wille auch wirklich der seine ist.
Stark und bewegend gespielt – wie immer bei Ozon
Dramen über Sterbehilfe sind fast schon ein eigenes Filmgenre, so viele gibt es inzwischen. Ein Zeichen, welch brennend aktuelles Thema würdiges und selbstbestimmtes Sterben in einer sichtlich alternden Gesellschaft ist. Manche dieser Filme wollen die Debatte um Euthanasie anfeuern, andere einfach Einzelschicksale aufzeigen, um die Zuschauer mit diesem nur allzu gern verdrängten Thema zu konfrontieren.
Ozons Film gehört zu Letzteren. Ein Fallbeispiel mit Allgemeingültigkeit, das in seinem Œuvre noch durch ein weiteres unterdrücktes Thema andockt: die Homosexualität des Vaters, über die in der Familie nie gesprochen wird, trotz eines renitenten Ex-Lovers, der sich auch im Krankenhaus nicht abweisen lässt.
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„Alles ist gutgegangen" beruht auf wahrer Begebenheit
Es ist ein Film über Sterben und Abschied, Verlust und Loslassen. Für Ozon gilt das aber auch noch auf einer anderen Ebene. Der Fall beruht nämlich auf einer wahren Geschichte, die Emmanuèle Bernheim 2013 als Roman verarbeitet hat. Die Schriftstellerin hat Ozon einst geholfen, als es bei seinem Film „Unterm Sand“ (2000) einmal nicht weitergegangen war, sie hat dann auch später immer wieder an Filmen von ihm mitgewirkt. Und wollte ihn auch dafür gewinnen, das Buch über das selbst gewählte Ende ihres Vaters zu verfilmen.
Ozon fürchtete erst, er sei zu eng mit ihr bekannt, um daraus einen Film machen zu können. Stattdessen übernahm dann der Regie-Kollege Alain Cavalier, der eher der Vater-Generation angehörte. Aber dann ist Bernheim an Lungenkrebs erkrankt und 2017 auch daran gestorben. Cavalier hat das in seinem bewegenden Dokumentarfilm „Am Leben sein und darum wissen“ (2019) festgehalten.
Kino Hamburg: Film über Sterbehilfe mit prominenter Besetzung
Und dann hat Ozon doch noch den Spielfilm dazu gedreht. Der fokussiert sich aber nicht, wie das Buch, auf den Vater, der immer fremd war und erst im Sterben ganz nahe kommt. Ozons Film ist vor allem eine Hommage auf seine langjährige Mitarbeiterin, deren Figur zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird. Wie immer bei dem großen Schauspieler-Regisseur ist das stark und eindringlich gespielt.
Das ist nicht nur Sophie Marceau zu verdanken und Altstar Dussollier, dafür sorgen auch prominente Gastauftritte: Als depressive Mutter ist Ozons Dauermuse Charlotte Rampling zu sehen, die auch in dessen Bernheim-Filmen „Unterm Sand“ und „Swimming Pool“ die Hauptrolle spielte.
Und da ist noch Hanna Schygulla, die einen ganz persönlichen Bezug zur Thematik hat. Zwei Jahrzehnte lang hat sie sich um die Pflege ihrer kranken Eltern gekümmert und war deshalb lang aus dem Scheinwerferlicht verschwunden. Nun spielt sie die Kontaktperson des Sterbehilfe-Vereins. Und sie ist es auch – da verraten wir hier sicher nicht zu viel –, die am Ende jenen erlösenden Satz ausspricht, der dem aufwühlenden Film seinen Titel gibt.
„Alles ist gutgegangen“, Frankreich, 109 min., ab 12 J. , läuft im Zeise, Savoy, Studio und Blankeneser Kino