Hamburg. Joaquin Phoenix kehrt nach dem Oscar für „Joker“ als melancholischer Familienmensch in „Come on, come on“ zurück – ein besonderer Film.
Zu den schönsten Ideen dieses Films gehört seine halbdokumentarische Form. Drehbuchautor und Regisseur Mike Mills flankiert seine Geschichte mit Interviews, die Joaquin Phoenix in der Hauptrolle des Radiojournalisten Johnny mit echten Schülerinnen und Schülern aus New York, Detroit und New Orleans führt.
Es geht um die großen Fragen nach der Zukunft, in Zeiten von Krieg, Seuchen und Klimawandel werden sie überall auf der Welt gestellt: Wie werden wir uns selbst verändern, was wird aus unserer Umwelt? Was wird aus unseren Familien, wovor haben wir Angst und woran Freude, was wird von uns bleiben?
Kinokritik: Antworten auf die großen Fragen
Gleich zu Beginn sind die Antworten auf diese Fragen zu hören, und sie sind so vielfältig und interessant wie die jungen Menschen, die vor der Kamera sitzen. Einige der Interviewten, so ist zu lesen, hätten ihn tatsächlich einfach für einen Onkel vom Radio gehalten. Andere wiederum seien fassungslos gewesen: „Du bist doch der Joker?!“
Es ist in der Tat Phoenix’ erste Leinwandrolle, seitdem er für die Rolle des Außenseiters Arthur Fleck, der sich in eine Bestie verwandelt, den Oscar als bester Schauspieler erhielt. Sein Johnny ist geradezu das Gegenteil davon: Er ist ein netter Kerl mit Vollbart und erweitertem Bauchansatz, der an die Kraft des Gesprächs glaubt und seinen Kummer so unter Kontrolle zu halten weiß, dass er andere damit nicht allzu sehr belastet.
Johnny bleibt nur die Arbeit
Grund zur Schwermut hat er allerdings schon, und das nicht nur wegen seines melancholischen Gemüts. Die Freundin hat ihn vor nicht allzu langer Zeit verlassen, er hängt noch an ihr. Und seine Mutter ist nach einer Demenzerkrankung gestorben. In den Monaten zuvor hat sich Johnny mit seiner Schwester Viv (Gaby Hoffmann) oft über die Pflege gestritten, nun ist das Verhältnis zwischen beiden abgekühlt. Was Johnny bleibt, sind die Arbeit und die Frage, die er in seinen Interviews immer wieder stellt, als könnte er sie auf diese Weise von sich selbst fernhalten: Was wird aus dir?
Es ist von einer großen, musikalischen Kraft, wie sich hier die beiden Ebenen des Films verschränken – und bei Mike Mills, der auch das Drehbuch geschrieben hat, erstaunt das nicht weiter. In „Jahrhundertfrauen“, dessen Drehbuch ihm 2017 eine Oscar-Nominierung einbrachte, leuchtete er tief in den emotionalen Faltenwurf einer familiären Konstellation hinein.
Welche Freiheiten lässt man einem Kind?
Die wunderbare Annette Bening hadert darin als Mutter mit der Frage, wie sie mit ihrem Sohn auf dem Sprung ins Erwachsenenalter umgehen soll. Die Frage, was es bedeutet, ein Kind zu haben, welche Freiheiten man ihm lassen und wo man Einfluss nehmen sollte, steht auch hier wieder im Zentrum – auch wenn Jesse (Woody Norman) erst neun Jahre alt ist.
Er ist der Sohn von Viv, Johnny ist sein Onkel. Jesses Vater leidet unter einer bipolaren Störung, die dringend behandelt werden muss. Johnny erklärt sich bereit, in dieser Zeit auf Jesse aufzupassen – auch wenn er selbst keinerlei Erfahrung mit Kindern vorweisen kann. Und gerade Jesse ist mit seinem wechselhaften Temperament eine Herausforderung für den Mann, der sich eigentlich verschließen wollte vor der Welt.
Johnny und Jesse bauen eine Beziehung auf
Er stellt ihm Fragen, die Johnny sonst lieber anderen stellt. Sehr direkte Fragen nach seinen Gefühlen, nach der Angst vor Verlust und den Gründen für zurückliegenden Streit. Oder auch danach, wie es mit dem bipolaren Vater weitergehen wird. Außerdem will er Spiele spielen, die fast den Charakter einer Familienaufstellung haben: Darin gibt er vor, ein trauriges Waisenkind zu sein, das von einem um sein verlorenes Kind trauernden Vater gefunden wird. So viel symbolisches Gewicht wird Johnny schnell zu viel.
Gleichzeitig erlebt er aber auch immer wieder Momente großer Zartheit. Jesse schnappt sich sein Mikrofon und streift mit ihm durch New York, um möglichst viele Geräusche festzuhalten. Die beiden essen und lachen gemeinsam, Johnny seift ihm den Kopf in der Badewanne ein, sie streiten sich im Supermarkt um den Kauf einer elektrischen Zahnbürste, die nervtötende Geräusche von sich gibt. Johnny beschließt, Jesse mit auf seine Arbeitsreisen zu nehmen, es geht bis nach New Orleans. Ganz langsam entdecken sie dabei einander. Es ist schön, sich das anzusehen.
Kinokritik: „Come on, come on“ kommt ohne Dramen aus
Die Schwarz-Weiß-Bilder von Kameramann Robbie Ryan lassen dieses befristete Vater-Sohn-Verhältnis auf eine ergreifende Weise aus der Zeit fallen. Die schon so oft abgefilmten Kulissen der Großstädte wirken wie vom Abschied überschattet, während sich das Wurzelwerk eines Baumes so urzeitlich auftürmen kann, als hätte man zuvor noch nie eines gesehen.
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„Come on, come on“ ist ein außerordentlich herzenswarmer Film, der keine riesigen Dramen inszenieren muss. Auch die kleinen des täglichen Lebens sind ja schon groß genug.
„Come on, come on“ läuft ab 24.3. im Blankeneser, Holi, Koralle, Passage, Zeise