Hamburg. In ihrem 1. Akademiekonzert wagten der Dirigent und sein Philharmonisches Staatsorchester ein Experiment.
Eine Aufführung seines Deutschen Requiems mit acht verschiedenen Chören in einer Stärke von rund 400 Sängerinnen und Sängern hätte sich der gute alte Brahms in seinem Leben wohl nie träumen lassen. In ihrem 1. Akademiekonzert am Sonnabend und Sonntag in der Elbphilharmonie wagten Kent Nagano und sein Philharmonisches Staatsorchester dieses Experiment. Jörn Hinnerk Andresen oblag die nicht einfache Aufgabe, acht Hamburger Chöre für diese Aufgabe vorzubereiten.
Nagano entschied sich für die selten zu hörende Bremer Fassung des Werkes, die 1868, ein Jahr vor der Hamburger Erstaufführung, im Bremer Dom noch ohne den fünften Satz mit dem Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“ zur Uraufführung gelangt und durch einen bunten Mix barocker und romantischer Werke ergänzt war. Das war in Konzerten der Vergangenheit zwar gängige Praxis, aber gerade vor dem Hintergrund eines so geschlossen wirkenden Werkes wie dem Deutschen Requiem schon gewöhnungsbedürftig.
Stimmgewalt von acht Chören: Überwiegend ein ausgewogenes Klangbild
Man könnte nun meinen, dass die Intimität des Brahmsschen Requiems in seiner tröstenden, so wundersam beruhigenden und aufbauenden Haltung durch die Stimmgewalt des Hamburger Bachchores St. Petri, des Chores der Kantorei St. Nikolai sowie der Hamburger KlangVerwaltung, der Jugendkantorei Volksdorf, der Capella Vocale Blankenese, des Franz-Schubert-Chores, der Compagnia Vocale Hamburg und des Kammerchores Cantico Vokalensemble conSonanz zerstört werden könnte. Das Gegenteil aber war der Fall.
Überwiegend gelang es Nagano, die neben und hinter dem Orchester auf der Ebene 13 platzierten Sängerinnen und Sänger so zu kontrollieren, dass ein extrem ausgewogenes Klangbild entstand. Natürlich war das bei den großen Fortissimo-Ausbrüchen wie etwa bei „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand“ nicht immer möglich. Aber die Qualität der Chöre und ihre Disziplin in der Zusammenarbeit mit dem zu Saisonbeginn wahrlich bestaufgelegten Philharmonischen Staatsorchester war beachtlich.
Solo-Pauker Brian Barker hatte seinen großen Auftritt
Die charakteristische, zu Brahms Musik so einzigartig passende Klangfarbe der Philharmoniker trat schon gleich in den Anfangstakten des „Selig sind, die da Leid tragen“ in dunkel schimmernder Tiefe hervor. Nagano hatte darauf geachtet, dass die Männerstimmen mittig dominierten und die Frauenstimmen das Orchester seitlich umrahmten. Effektvoll! Mit vier Harfen besetzt und zwei Flöten endete dieser Satz, bevor der hervorragende Solo-Pauker Brian Barker bei den Steigerungen der drastisch dargestellten Endlichkeit in „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ wieder seinen großen Auftritt hatte. Beim „Herr, lehre auch mich“ konnte sich der isländische Bariton Jóhann Kristinsson links hinter dem Orchester stehend nicht so ganz durchsetzen und die Schönheit seiner Stimme kam nicht wirklich zur Geltung.
Dieselbe Position wie der Bariton nahm auch die Geigerin Veronika Eberle ein, die nach der Unterbrechung des Deutschen Requiems wie beim historischen Bremer Konzert Andante-Sätze aus Bachs Violinkonzert a-Moll BWV 1041 und Tartinis Violinkonzert B-Dur D 120 sowie die Bearbeitung des „Abendliedes“ von Robert Schumann in einer Bearbeitung von Joseph Joachim für Violine und Orgel einflocht. Dabei wurde sie an der Orgel von Thomas Cornelius begleitet, für den man den Spieltisch der Elbphilharmonie-Orgel noch mühsam ganz an die Rampe des Podiums hatte fahren müssen.
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Eberles bewegendes Spiel voller Seele und ihr zart-wandelbarer Ton kamen später dann auch noch in der Arie „Erbarme dich“ aus Bachs Matthäus-Passion zur Geltung, wo die bekannte Geigerin die Sopranistin Kate Lindsey begleiten durfte. Dass Lindsey danach nun auch noch Händels „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“ aus „Der Messias“ sang und das feierliche „Halleluja“ mit acht Chören zu Brahms dann einen sicher krassen Kontrast bildete, trübte die Begeisterung für dieses Akademiekonzert keineswegs. Nicht einen Applaus hatte das Publikum zwischen den Parts dieses Abends gewagt, doch am Ende brach dieser dann umso heftiger los.