Hamburg. Bier, Beats und Baxxter: Hamburgs Techno-Pop-Trio feierte mit 20.000 Fans das Ende des „Kultursommers“ auf der Trabrennbahn.

Im Oktober 2020 setzte sich ein gewisser Hans Peter Geerdes in seinem mondänen Domizil in Duvenstedt hin und dachte nach: Wie ließen sich die vergangenen Monate, die Ängste und Sorgen, die Stilllegung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Alltags und eine ungewisse Zukunft dichterisch verarbeiten? Welcher Versfuß böte sich an, Jambus, Trochäus, Daktylus oder Anapäst? Asklepiadeische Strophe? Hexameter? Haiku? Welche Metaphern bilden die Wirklichkeit als Gleichnis ab? Und sollte eher Homer die Inspiration liefern oder doch lieber Horaz? Vielleicht doch Matsuo Bashō? Wieder und wieder ließ sich Geerdes von der Muse küssen, um sein Epos, seine Ilias, seine Edda immer gewitzter zu verfeinern. Am Ende war er endlich zufrieden, leise klingelten die Eiswürfel in seinem Schwenker mit Wodka Red Bull, als er rezitierte: „I don’t give a penny! Fuck 2020!“

In „FCK 2020“ erzählt Geerdes alias H.P. Baxxter von der vereinten Rave-Familie, die unaufhaltbar „das schlimmste Jahr überhaupt“ überwindet. Und als am Sonnabend 20.000 Fans von Baxxters Techno-Pop-Trio Scooter auf der Trabrennbahn in Bahrenfeld „Fuck 2020“ rufen, lässt sich erkennen, dass in diesen so simplen wie eingängigen Zeilen ein gutes Stück Wahrheit steckt. Wer weiß, was die nächsten Monate bringen werden, an diesem Abend jedenfalls scheint alles überwindbar. Für einen Moment.

Scooter in Hamburg: Konzert mit 20.000 Fans

Zuletzt donnerten Scooters Beatgewitter vor vier Jahren über das damals noch kleinere „Kultursommer“-Gelände auf der Trabrennbahn. Jetzt gibt es von allem mehr. Mehr Platz. Mehr Mensch. Mehr Bier. Auch am Mittwoch zuvor waren 20.000 Fans hier bei Die Ärzte, bei Scooter wirkt es aber deutlich voller. In mehrfacher Hinsicht. Sinnbildlich dafür steht eine fünfköpfige Männergruppe: Jeder trägt einen Einliter-Biereimer in der Hand und hat vor sich am Boden jeweils drei weitere Riesenbecher geparkt. Das Tagesziel ist absehbar: Hier bleiben wir stehen, und hier bleiben wir liegen.

H.P. Baxxter, Frontmann, Kopf, Frontmann und Gesicht von Scooter – und natürlich wie immer bestens frisiert.
H.P. Baxxter, Frontmann, Kopf, Frontmann und Gesicht von Scooter – und natürlich wie immer bestens frisiert. © HA | Marcelo Hernandez

Bachs Toccata und Fuge d-Moll ertönt, auf der großen Videoleinwand auf der Bühne erscheint eine apokalyptische Version einer Arp-Schnitger-Orgel. Eine düstere Stimme verkündet: „God Save The Rave“. Der Himmel ist blau, der am Vortag noch angesagte Regen reine Fantasie, ein kühler Wind erfrischt.

Scooter-Konzert mit komplizierter Lyrik auf der Leinwand

Und dann geht sie los: die Messe der fetten Bässe. H.P. Baxxter flitzt auf die Bühne und wird zwei Stunden lang wieder seine Mischung aus Flugzeugträger-Einweiser, Aerobic-Coach und Bundeswehr-Ausbilder spielen: Anfeuern, anfeuern, anfeuern vor Grafik-Gewusel auf der Leinwand und Funken, Flammen und Rauchsäulen aus dem Pyrotechnik-Arsenal. Die flankierenden Keyboarder Michael Simon und Sebastian Schilde drücken ihre Knöpfe im Takt mit der Lichtcrew: „Which Light Switch Is Which“. Für nicht so textsichere Fans wird dann und wann die komplizierte Lyrik auf der Leinwand eingeblendet: „Yeah, aaa, aaa, always Hardcore.“

Der Sound war schon mal besser bei Scooter-Konzerten

Eigentlich ist alles wie immer bei einem Scooter-Konzert: Die Tracks „We Love Hardcore“, „Do Not Sit If You Can Dance“, „Bassdrum“ oder „Jigga Jigga!“ gehen in schneller Folge ineinander über. Sechs Tänzerinnen verbiegen ihre Körper, und vorne tobt der Mob. Hinten allerdings sind Baxxters „Gesang“ und Ansagen – „Hamburg, ihr seid ja alle wahnsinnig!“ – kaum zu verstehen, der Bass boxt alles weg.

Nicht, dass das eine große Rolle spielen würde, aber der Sound war definitiv schon besser bei Scooter-Konzerten, auch wenn die Anwohner in den umliegenden Stadtvierteln sicher froh sind, dass dies das letzte von drei „Kultursommer“-Konzerten dieses Jahr ist. Für nicht wenige Fans auf dem Gelände ist es natürlich insgesamt zu leise. Auch mit dem Sehen ist es hinten schwierig: „Wo isser denn?“, schreit eine kleine Frau ihren großen Freund an, „der Blonde in der Mitte“, brüllt der zurück.

Scooter in Hamburg: Es macht einfach Spaß

Die Show neigt sich langsam dem Ende zu, und die alten Fragen tauchen wieder auf: „How Much Is The Fish?“ Spielt H.P. Baxxter bei „Fire“ wirklich seine Flying-V-Gitarre oder ist das Playback? Und warum feiern 20.000 immer noch das in den 90ern stehengebliebene Bumsdisco-Gedröhne und nehmen „Jumping All Over The World“ wörtlich? Weil es Spaß macht, nicht mehr, nicht weniger.

„Maria (I Like It Loud)“ prüft noch mal die Textsicherheit („Döp-döp-döp“), und nach „Endless Summer“, „Hyper Hyper“ und „Move Your Ass!“ gibt es mit „Jump That Rock (Whatever You Want)“ noch eine Extra-Zugabe. Einige wissen wohl nach zu viel Beats und Bier nicht mehr, wohin mit ihrer Restenergie. An den Ausgängen ist Polizei aufgezogen, weil es Hauereien gegeben haben soll. Da muss man an das Schild denken, was im Club Logo hängt: „Achtung Volksfest!“

FCK 2020? Da war doch mal was. Für alle, denen der Live-Gig noch nicht reicht: Wir hätten noch das Corona-Konzert von H.P. Baxxter und Co. im Angebot

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