Hamburg. Das Hamburger Trio treibt seine Kunst in „In der Natur“ auf die Spitze. Doch was macht Putins Tisch im Videoclip zur neuen Single?
Für Fans des ultrasmart vorgetragenen HipHop-Electro-Pop-Punks gibt es gleich vier gute Nachrichten. Die erste lautet: im Februar 2023 wird es neues Deichkind-Album geben, Titel: „Neues vom Dauerzustand“. Die zweite geht so: Am 23. August 2023 geben die Hamburger auf der Trabrennbahn ein großes Konzert.
Die anderen beiden News werden jetzt schon mit Leben gefüllt: Die neue Single mit dem dazugehörigen Videoclip sind da. „In der Natur“ glänzt auf beiden Ebenen und ist ein Hochleistungsprodukt der Popmusik. Anders gesagt: Deichkind bestätigt einmal mehr seinen Ruf als die deutsche populärmusikalische Unternehmung mit dem allerhöchsten Maß an textlicher Finesse, inhaltlicher Relevanz und ästhetischer Smartness.
Neue Single von Deichkind thematisiert auch den Krieg
In Text und Bild verdichtet der Song die Themen Naturerleben, Klimawandel und Krieg – wobei die die typische Deichkind-Komik mit dem jodelnden Entrée einsetzt und sich vor allem im Hipster-naiven Lamento bahnbricht, das einen Ausflug ins Grüne schnell für keine gute Idee mehr hält: „In der Natur, da verknackst du dir den Fuß/In der Natur, da versagt dein Survival-Buch/In der Natur, da hilft keiner, wenn du rufst/Du hast lange nicht geduscht und das hier so nicht gebucht/In der Natur, vielleicht als Doku ganz okay/In der Natur tut dir die Nackenstütze weh/In der Natur, ohne Abo doch gar nicht so spannend/Erst da hinten irgendwann fang’n die Wege wieder an“.
Die beste Line für naturbelassene Produktenttäuschung ist die: „Ich hänge hier im Wald rum, ohne Hafermilch und Heizung“. Armes Volk im Wald, geht doch lieber zurück in die Schanze. Wo es grün ist, wird es, scheint’s, bedrohlich („Die Blicke von den Tier’n sind mir zu passiv aggressiv“); dabei ist es doch de Natur selbst, die bedroht ist vom Tun und Lassen des Menschen. Die laufen im Video mit Schutzanzügen durch die Szenerie, das kann man schwerlich anders verstehen als zusätzlichen Kommentar zu Wald- und Natursterben.
Neue Single: „In der Natur“ nicht nur ein Konstrukt
Dekonstruktion, Symbolik und Mehrfachcodierung: In ihrem neuen Clip beherrscht das Trio seine Kunst aus Witz und Gesellschaftskritik vielleicht so gut wie nie. Am Ende reitet Deichkind-MC Sebastian „Porky“ Dürre wie einst Charlton Heston in „Planet der Affen“ am Strand in Richtung eines Mahnmals menschlicher Selbstvernichtung.
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Nur ist es diesmal nicht die Freiheitsstatue, die halb im Sand verbuddelt ist, sondern Wladimir Putins grotesk langer Konferenztisch. An dem pflegte der russische Präsident zuletzt Staatsgäste zu empfangen. Dieser Tage kann er wie von Deichkind intendiert tatsächlich als Symbol für die Angst vor dem Atomkrieg dienen. Weshalb der neue, erstaunliche Deichkind-Clip „In der Natur“ nicht nur ein kühnes Konstrukt, sondern letztlich auch gar nicht mehr komisch ist.