Hamburg. Lia Pale und Band mit einem ganz eigenen Blick auf Brahms im Kleinen Saal der Elbphilharmonie: der Auftritt einer Menschenfängerin.

„Gibt’s vielleicht Klassiker im Raum, die jetzt mit uns schimpfen?“ fragt Lia Pale mit unschuldigem Augenaufschlag. Ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Denn nach drei Songs weiß die österreichische Sängerin längst, dass sie ihr Publikum im Kleinen Saal der Elbphilharmonie um den schlanken Finger gewickelt hat. Völlig ausgeschlossen, sie nicht zu mögen: mit ihrer charmant kokettierenden Variante des Wiener Schmäh und mit ihrem ganz eigenen Blick auf Brahms.

Zum Komponistenschwerpunkt des Schleswig-Holstein Musik Festivals präsentiert Lia Pale mit ihrer vierköpfigen Band verjazzte Versionen von Brahms-Liedern. Von ihr selbst auf Englisch übersetzt und vom Pianisten Mathias Rüegg brillant arrangiert. Die Melodien bleiben nahe am Original. Aber Rüegg bettet sie auf neue Harmonien und findet mit seinen Kolleginnen und Kollegen an Schlagzeug, Bass und Trompete raffinierte Farben und (Off-)Beats, inspiriert von den Rhythmen der Lieder selbst. Bei den eckigen Grooves von „Kein Haus, keine Heimat“ hat man den Eindruck, dass Brahms schon den Cool Jazz von Dave Brubeck vorwegnimmt.

Konzertkritik: Lia Pale säuselt ins Mikrofon

Lia Pale singt die Stücke aus ihrem „Brahms Songbook“ mit wandlungsfähiger Stimme. Sie flüstert, raunt und säuselt ins Mikrofon, gibt ihrem Timbre mitunter einen musicalreifen Glanz und spielt zwischendrin auch mal Flöte.

Worum es in den Liedern geht, das erzählt sie in einem natürlichen Plauderton, den man als Lehrbeispiel für nahbare Musikvermittlung abfilmen müsste. Das Lied „Du mein einzig Licht“ – bei ihr: „My only light“ – sei eine gebremste Liebesschwärmerei, da habe sie die kritischen Widersprüche einfach mal wegübersetzt. Und der „Nachklang“ handle davon, dass es uns an Regentagen leichter falle, traurig zu sein.

Konzertkritik: Programm wirkt stimmig

Die melancholischen Zwischentöne in der Musik von Brahms sind schon zu spüren, sie haben allerdings nicht die norddeutsch anmutende Seelendüsternis, wie man sie aus klassischen Interpretationen kennt. Lia Pale und ihre Band meiden die Abgründe, das Raue und Schroffe, was es ja auch bei Brahms zu erkunden gäbe. Es muss ja nicht immer ans Eingemachte gehen. Das Schwere ein bisschen leichter zu nehmen, ist schließlich eine große (Lebens-)Kunst.

In sich wirkt das Programm jedenfalls stimmig und abwechslungsreich. Auch, weil Pale den Mitgliedern ihrer exzellenten Band immer wieder Raum für gut getimte Soli lässt. Ein toller Abend mit sehr feiner Musik, viel positiver Energie im Raum und einer charismatischen Menschenfängerin.