Hamburg. Die Finnen um Sänger Samu Haber liefern in der Barclays Arena ein Konzert wie eine Powerbank – und werden frenetisch bejubelt.

Zum Zauber des Pop gehört die magische Verbindung zwischen einer Band und ihren Fans. Die Energie und Liebe, die wieder und wieder von der Musik befeuert wird. Das Feiern, Schwärmen und Heulen zu den allzu vertrauten Songs. Wenn sich nun Megastars wie die fünf Finnen von Sunrise Avenue mit einer finalen Tour von ihrem Publikum verabschieden, ist das ein hoch emotionales Ereignis. Ein großes Fest der letzten Male.

„This is the end, the end, the end, the end, the end“, singt Frontmann Samu Haber zum Auftakt in der ausverkauften Barclays Arena, der ersten von zwei Shows in Hamburg. „The end“ steht auch in weißen Lettern auf seiner schmuckvoll zerrissenen Jeansjacke. Es ist eindeutig: Der 46-Jährige möchte einen Schlussstrich ziehen. Corona-bedingt mit zwei Jahren Verzögerung. Nach nun 20 Jahren Bandgeschichte. Und nach fünf Alben sowie mehr als 30 gemeinsam bereisten Ländern.

Sunrise Avenue: Abtreten, wenn's am Schönsten ist

Viel war vorab zu lesen über die Beweggründe der Bandauflösung. Über den Druck, den Sänger und Gitarrist Samu Haber gespürt hat. Über seine Therapie und den geplanten Solo-Neustart mit finnischen Songs. „Die Welt um uns herum hat sich verändert und auch wir als Menschen haben uns verändert. Es kam der Moment, an dem wir verstanden haben, dass wir weiterziehen müssen“, erklärte Samu Haber im Interview mit der „Westfälischen Rundschau“. „Es wäre furchtbar, nur zusammenzubleiben, weil man Angst vor dem hat, was danach kommt.“

An diesem Abend in Hamburg zählt jedoch noch einmal der Moment. Der Druck der Rockhymnen, die Sunrise Avenue gut zwei Stunden in die Halle schickt. Ein Konzert wie eine Powerbank. Viele in der Menge tragen T-Shirts ihrer Idole. Und den Fans ist deutlich anzusehen, wie sehr sie diesen Auftritt in sich aufsaugen. Leuchtende Gesichter, Tränen ab und an. Die bevorstehende Trennung intensiviert den Augenblick zusätzlich. Noch einmal die Songs live in jeder Faser spüren. Noch einmal lauthals im Chor mitsingen zu Nummern wie „I Help You Hate Me“ und „Wonderland“, während das Herz-Logo aus den Initialen der Band über der Bühne flackert.

„Ich habe gehört, dass gerade Energiesparen angesagt ist“, ruft Samu Haber – und hat da direkt einen Vorschlag: „Wir schwimmen nachher in dem Schweiß, den wir heute Abend produzieren.“ Vom jugendlichen Beau der Anfangsjahre hat er sich zu einem Typen gewandelt, dem mehr Leben im Gesicht steht. Dreitagebart und halblanges Blondhaar, etwas müde Augen und ein zugewandter Blick. Doch seine Stimme besitzt nach wie vor eine große Klarheit und Wärme.

Überwältigung an Akustikgitarre mit „Heartbreak Century“

Sein Gesang lotet dunkle Schattierungen aus, um sich dann immer wieder emporzuschwingen. Ein freier Flug durch die Arena, getragen von der Band. Von dem agil umhertigernden Bassisten Raul Ruutu. Von dem konzentriert abliefernden Lead-Gitarristen Riku Rajamaa. Und von Schlagzeuger Sami Osala sowie Keyboarder Osmo Ikonen, die jeweils auf Podesten thronen.

Mit hochtouriger Kraft liefern sie eine abwechslungsreiche Show: Überwältigung an Akustikgitarre mit „Heartbreak Century“. Symphonische Härte mit „Forever Yours“. Und schwelgerische Shanty-Stimmung bei „Lifesaver“, zu dem auf der Videoleinwand tosende Meereswogen in Überblendung mit Aufnahmen der Band zu sehen sind. Eine wild-romantische Bewegtbildtapete.

Sunrise Avenue: Gratwanderung zwischen Kumpelhaftigkeit und Bombast

Sunrise Avenue vollbringen die Gratwanderung zwischen Kumpelhaftigkeit und Bombast, zwischen Lagerfeuer-Erdigkeit und synthetischem Streicherschmelz. Und noch einmal zelebriert die Band die alten Rockstar-Gesten. Samu Haber wischt sich den Schweiß vom Gesicht und schmeißt das Handtuch ins Publikum. Riku Rajamaa greift immer wieder in seine Hosentasche und wirft Plektren wie Konfetti in die Menge.

Noch einmal recken sich der Band hunderte Hände entgegen. Und als Samu Haber dann den Song „Home“ im Taschenlampenmeer seiner Fans singt, laufen die Herzen noch ein wenig voller. Die Heimat in sich selbst suchen und in anderen finden, die eigenen Narben feiern und zu Niederlagen tanzen – mit solchen Botschaften hat Sunrise Avenue viele Menschen über zwei Jahrzehnte in ihrem Leben begleitet.

Sunrise Avenue: "Thank You For Everything"

„Thank You For Everything“ heißt diese Abschiedstour. Und Samu Haber sagt Danke. Immer wieder. Einem Fan in der ersten Reihe, der die Band laut Pappschild 222 Mal gesehen hat, schenkt er unter reichlich Gekreische seine Jeansjacke. Gänsehaut. Der charismatische Musiker erinnert aber auch an Clubs wie das Knust, wo die innige Verbindung zu Hamburg begann. Und die Geschichte schreibt sich fort. Die Vorband des Abends, das finnische Electro-Rock-Quartett Cyan Kicks, spielt im Mai 2023 in der Konzerthalle zwischen Schanze und Karoviertel.

Die stete Erneuerung ist der Motor des Pop. Und womöglich auch ein Trost für die Fans, die ihre Sunrise Avenue in einem fulminanten Finale zu Hits wie „Fairytale Gone Bad“ noch einmal hochleben lassen.

„Erinnert Euch daran, dass wir Spaß zusammen hatten“, heißt es schließlich in der melancholischen Powerrock-Hymne „Hollywood Hills“. Noch einmal läuft die Band danach über den Mittelsteg durch die Menge, schüttelt Hände, winkt und lässt sich umspülen vom frenetischen Jubel. Sie gehen, wenn es am Schönsten ist. Und am Lautesten. Was bleibt, ist die Musik.