Hamburg. Mit „Mehr Nutten, mehr Koks – scheiß auf die Erdbeeren!“ feierten die Sängerin und der Kabarettist im Tivoli Premiere. Spott für Nena.

Aus den Lautsprechern erklingt im Schmidts Tivoli auch dann Musik, wenn nach dem obligatorischen gastronomischen Vorglühen ein musikalisch geprägtes Programm folgt. „Manchmal möchte ich schon mit dir“, säuselt am Mittwochabend Pop-Chanteuse Annett Louisan – ihre Coverversion des alten Roland-Kaiser-Hits.. Noch länger als der Schlager-Kaiser ist Mary Roos im Show-Geschäft. Vor mehr als 60 Jahren hat sie als Kinderstar zum ersten Mal auf einer Bühne gestanden.

Mary Roos im Duo mit dem Brachialkabarettisten Wolfgang Trepper

Die Grande Dame des Schlagers hat ihre Solo-Gesangskarriere 2019 anlässlich ihres 70. Geburtstages beendet, nachdem ihr mit dem Duo-Bühnenprogramm „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ ein zweiter Frühling im Herbst ihrer Karriere beschieden worden war. Ausgerechnet mit dem Brachialkabarettisten und bekennenden Schlager-Hasser Wolfgang Trepper. Und mit dem Hausgrantler des Schmidt Theaters möchte sie nicht nur manchmal, sondern wieder öfter auf der Bühne stehen. Nach fast 300 Vorstellungen mit mehr als bundesweit 160.000 Besuchern seit 2015 heißt es jetzt folgerichtig „Mehr Nutten, mehr Koks – scheiß auf die Erdbeeren!“.

Die Fortsetzung ihres Duo-Programms mit weiteren Schlager-Geschichte(n) offenbart bei der Premiere im Tivoli alte Muster und Klischees, jedoch auch einigen Neuheiten. Der musikalische-satirische Abend ist wiederum eine Mischung aus Konzert, Talk und Abrechnung mit alten, aber auch einigen jüngeren Schlager-Stars. Die bewährte vierköpfige Band spielt jetzt ergänzt um eine Background-Sängerin; rechts auf der Bühne steht wie gehabt die Plauderecke für Tischgespräche, besser gesagt Frotzeleien bis hin zu Beleidigungen Treppers. Diesmal sitzen beide auf zwei gepolsterten Barhockern – mit Rückenlehne. Man und frau wird ja auch nicht jünger. Drei Pandemien habe „die Alte“ schon überlebt, vor Corona bereits die Spanische Grippe und die Pest, ätzt Trepper (61).

Trepper macht Scherze auf Kosten seiner Kollegin

Mary Roos geografisch richtig einzuordnen im Dreieck zwischen Bingen (ihrem Geburtsort am Rhein) , Hamburg-Sasel (ihrem Wohnort seit Jahrzehnten) und Paris (wo Roos Anfang der 70er im Olympia ein mehrwöchiges Gastspiel feierte) weiß der Graubart aus Hamburg-Langenhorn die dreimalige Grand-Prix-Teilnehmerin sehr wohl. Mit ihrem bürgerlichen Vorname „Rosemarie“ zieht er sie jedoch immer wieder auf: „Darauf reagiert sie“, meint Trepper scherzend und behauptet steif und fest, dass sich die Sängerin hinter der Bühne Tai Ginseng in doppelter Dosis gebe, damit sie den Abend durchsteht.

„Die Rache der AOK“ ist noch eine der freundlicheren Umschreibungen, mit denen Trepper die singende Kollegin ankündigt. Mary Roos überrascht bei ihren Medleys mit einigen Coverversionen - von „Hello Again“ bis zum Frauenpower-Block mit „So schön kann doch kein Mann sein“. Und erzählt anschließend, dass die von ihr sehr geschätzte Original-Interpretin Gitte Haenning ihren damaligen Partner, den Hamburger Fernsehregisseur Pit Weyrich, mal Hals über Kopf an Heiligabend verlassen hat – mit dem Weihnachtsbraten aus dem Ofen. Da staunt das Publikum im Saal und sogar Trepper.

Mary Roos erträgt gelassen, humorvoll und selbstironisch Treppers Spitzen

Den italienischen TV-Moderator Giovanni Zarrella und die Sängerin Vanessa Mai hat der Satiriker jedoch gefressen. Als er und Roos feststellen, dass diese die Schwiegertochter von Andrea Berg ist, macht der Kabarettist aus der Abneigung ihr gegenüber keinen Hehl. Ebenso wenig gegenüber Vicky Leandros. Mary Roos stimmt – wenn auch etwas feiner – in die Antipathie für ihre jüngeren Sangeskolleginnen mit ein. „Vicky spricht schon gar nicht mehr mit mir, wenn die sieht, dass ich anrufe“, erzählt sie freimütig.

Es wirkt so, als stünde sie über den Dingen, ohne dabei jedoch abgehoben zu sein. Gelassen, humorvoll und selbstironisch erträgt sie Treppers Spitzen, wenn der über ihre Kleidung lästert, die sie an diesem Abend mehrmals wechselt., etwa vom kleinem Schwarzen zum blauen Anzug. „Wer hat dir denn das Outfit bezahlt? Schalke 04?,“,fragt Trepper sie zu ihrem ((Königinnen-)Blau. Und als er später auf die Neue Deusche Welle (NDW) und Annette Humpes Lied „Blaue Augen“ zu sprechen kommt, kontert Mary Roos: „Meine sind nicht blau, aber pass auf, dass du dir keine blauen Augen von mir holst.“

Treppers alte Nummern strecken das Programm unnötig

Es sind die ungeplanten und spontanen Einwürfe, die das von Schmidt-Chef Corny Littmann inszenierte Programm erst so richtig unterhaltsam machen. Als Mary Roos bei einem weiteren Medley Coverversionen von Welthits gesungen hat und im goldenen Hosenanzug auch die „99 Luftballons“ stimmig interpretiert und getanzt hat, fragt Trepper: „Das war doch Nena?“ „Ist ja meine Nachbarin, die wohnt bei mir um die Ecke“, entgegnet Roos. „Im gleichem Heim?“, fügt Trepper doppeldeutig zur Popsängerin aus der Esoterik-Szene an.

Dennoch gerät Treppers NDW-Kapitel zu lang, ebenso sein ermüdender Part über die Fernsehwerbung aus guten alten Zeiten, mit dem er auf Wiederkennung im Publikum abzielt: Fast alle im Saal können Sprüche wie die von der Waschfrau Klementine („Nicht nur sauber, sondern rein“) mitsprechen. Dass Trepper zudem einige alte Nummer seines Soloprogramms wie die Abrechnung mit Costa Cordalis und dessen „Anita“ oder von Hans Rosenthals schlichtem Gute-Laune-Quiz „Dalli Dalli wieder aufgewärmt hat, streckt das zweite Duo-Programm mit Mary Roos unnötig.

Mary Roos: Im Oktober erscheint ihre Biografie

„Wir machen das hier, weil es uns das Spaß bringt“, hat der Spötter auf der Bühne zuvor vorgebeugt. Im neuem Programm hätten man sich einige weitere lustige Überraschungsmomente wie zum Ende des ersten Teils gewünscht. Da singt Mary Roos wie 1978 die Titelmelodie der ZDF-Zeichentrickserie „Pinocchio“, und Trepper tanzt dazu mit seinen roten Schuhen wie eine Puppe. Später singt er sogar erstmals selbst: Sein Sprechgesang zu „Keine Sterne in Athen“ - im Original von Stephan Remmler (Trio) – kann sich durchaus hören lassen.

Und dass Mary Roos noch immer eine der vielseitigsten deutschen Sängerinnen ist, die zwischen Schlager, Chanson und Pop mit feiner Ironie changiert, beweist sie mit der Zugabe „Ohne dich schlaf ich heut nacht nicht ein“, einer weiteren Coverversion (der Münchener Freiheit). Da haben einige ihrer am Ende begeisterten Fans das Tivoli bereits verlassen. Mitte Oktober übrigens erscheint Mary Roos’ Autobiografie „Aufrecht geh’n“, benannt nach einem ihrer Originallieder. Das Buch soll auch Schattenseiten ihres Lebens schildern.

„Mehr Nutten, mehr Koks – scheiß auf die Erdbeeren!“ bis 28.8., Di/Do 19.30., Mi 19.00, Fr/Sa 20.00, Schmidts Tivoli (U St. Pauli), Spielbudenplatz 24/25, Karten ab 43,60, unter T 31 77 88 99; www.tivoli.de.