Hamburg. Das britische Quartett begeisterte in der Elbphilharmonie. Doch die war nicht der perfekte Ort für dieses Konzert.
Gibt es im Backstage-Bereich der Elbphilharmonie einen Kraftraum? Mit Hanteln, Laufbändern und Crosstrainern? Ausschließen möchte man jedenfalls nicht, dass sich die Sons Of Kemet kurz vor ihrem Konzert an einem solchen Ort aufgewärmt und einen ordentlichen Schwung Adrenalin durch die Adern gepumpt haben. Schließlich beschleunigen die vier Musiker am Mittwochabend ohne Anlauf in ungefähr 1,5 Sekunden von null auf 100 – selten ein solches Brett erlebt. Und eine solche Ausdauer.
Denn obwohl zu Füßen von Saxofonist Shabaka Hutchings eine säuberlich abgetippte Setlist liegt, gibt es weder Titelansagen noch überhaupt Pausen zwischen den Stücken. Der Motor läuft, da ist kein Halten mehr. Und mancher, der eher blind „ein schönes Elbphilharmonie-Konzert“ gebucht hat, staunt nicht schlecht über das Set-up. Zwei Schlagzeuger, ein Tubaspieler, ein Saxofonist, das war’s. Und das reicht aber auch, wie die folgenden 90 Minuten zeigen. Was hier an Druck von der Bühne kommt, das erreicht manch Bigband nicht.
Elbphilharmonie: Sons Of Kemet – am liebsten aufspringen und tanzen
Sons Of Kemet mit ihrem Leader Shabaka Hutchings ist eine der ganz heißen Nummern der Londoner Szene – und dabei tief in der afroamerikanischen Jazzgeschichte verankert. „Afrofuturismus“ heißt die Richtung, die im informativen Beiheft zur gleichnamigen Programmreihe erklärt wird. Eine vom legendären Bandleader Sun Ra maßgeblich geprägte Bewegung, die schon in den 60er-Jahren die Utopie einer gerechteren Welt ohne Rassismus und Ungleichheit beschwor. Nicht nur im Jazz fand das Niederschlag, auch im Funk eines George Clinton und Sly Stone, später im Hip-Hop.
Und nun ist Shabaka Hutchings einer der aktuellen Protagonisten, dessen Energielevel selbst dann nicht sinkt, als er nach 45 Minuten Saxofon-Frontalgrooves die Flöte an die Lippen führt und ein langes, warmes Solo spielt. Da hat das faszinierend polyrhythmisch arbeitende Schlagzeug-Duo (Edward Wakili-Hick und Tom Skinner) dann ebenso kurz Pause wie Theon Cross an der Tuba, der mit seinem Instrument den Bass ersetzt und ihm bei einem späteren Solo die unwahrscheinlichsten Töne entlockt. Man sitzt wirklich atemlos da – und wenn die ganze Band dann wieder in Fahrt kommt, möchte man aufspringen und tanzen.
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Elbphilharmonie nicht der perfekte Ort für Sons Of Kemet
Das ist dann auch der einzige Haken des Abends. So brillant der Klang im Großen Saal auch ist und so lobenswert, welch enorme Stilbreite sich in der Elbphilharmonie schon seit der Eröffnung erleben lässt: Dieses Konzert wäre im Stehen, etwa in der Fabrik oder auf Kampnagel, wahrscheinlich sogar noch eine Ecke großartiger.
Die Musiker jedoch scheint die erzwungene Bewegungslosigkeit der 2000 Besucherinnen und Besucher nicht weiter zu stören. Sie spielen mit maximalem Engagement, und Hutchings lächelt fast ein wenig erstaunt-schüchtern, als die Ovationen nach dem letzten Stück losbrechen. Grandioser Auftakt einer Reihe, die bis Ende Oktober weitergeführt wird, unter anderem mit einem Auftritt von Ravi Coltrane (15. Oktober), dem Sohn von John und Alice Coltrane.