Hamburg. „Der Engländer, der in einen Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ erzählt von einer bedeutungsvollen Reise.
874 Meilen. 1406 Kilometer. So weit es ist von John o’Groats, der nordöstlichsten Ortschaft von Schottland, bis Land’s End am südwestlichen Zipfel von England. Eine Strecke, so weit etwa wie von Hamburg nach Monaco, die ein Rentner ganz allein mit seinem Köfferchen zurücklegt. Und nur mit öffentlichen Bussen, weil er da mit seinem Seniorenpass umsonst fahren kann.
Eine lange, beschwerliche Reise, bei der der Pensionär, der immerhin 90 Jahre alt und, wie man nach und nach erfährt, auch schwer krank ist, oftmals umsteigen und den Fahrplan genau einhalten muss. Aber er will unbedingt auf diese Weise reisen. Denn vor 60 Jahren ist er mit seiner Frau in die umgekehrte Richtung gefahren. Nach einer traumatischen Erfahrung, das zeigen Rückblenden, zogen sie so weit wie möglich von ihrem Zuhause weg. Auch damals nahmen sie den Bus. Und nun, nach dem Tod seiner Frau, will Tom Harper (Timothy Spall) noch einmal zurückreisen, solange seine schwindenden Kräfte es ihm erlauben. Man ahnt bald, warum. Und was er da in seinem Köfferchen mit sich trägt.
Das Leben kommt Tom Harper immer wieder in die Quere
Aber so penibel die Reise auch geplant und in seinem Notizbüchlein vermerkt ist, mit einem hat der Mann nicht gerechnet, und das kommt ihm immer wieder in die Quere: das Leben. Sei es, dass ein einfacher Stau oder ein Motorschaden die Fahrt unterbricht. Sei es, dass ein Teenager seinen Koffer stehlen will, ein Wind seine Landkarte wegbläst oder er von einem rüden Busfahrer auf offener Landstraße ausgesetzt wird. Aber stoisch erträgt dieser Tom Harper alle Verzögerungen. Und führt beharrlich seinen Weg fort. Zur Not auch zu Fuß.
Der deutsche Titel dieses Films, „Der Brite, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“, lässt an die humorigen und auch erfolgreich verfilmten Bücher von Jonas Jonasson à la „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ denken und ein Feelgood-Movie erwarten. Doch das ist eine Irreführung. Im Original heißt der Film weit schlichter und prägnanter„The Last Bus“.
Tom Harper: Ein Schnitt zeigt ein ganzes Leben
Das gibt auch schon die dramaturgische Ökonomie von Gillies MacKinnons Film vor. Ein Schnitt zeigt ein ganzes Leben. Der junge Tom wäscht seine Hände in der Küche und betrachtet durchs Fenster seine Frau im Garten. Ein Schnitt, und nun ist es der alte Tom, der seine Mary (Phyllis Logan) dort sieht. Ein weiterer Schnitt. Wieder wäscht er sich die Hände und schaut aus dem Fenster. Doch diesmal ist keiner mehr im Garten. Mehr braucht es nicht, um von dem Tod der geliebten Frau zu erzählen. Und von dem Entschluss, aufzubrechen.
Auch die Reise ist dann eine Folge kurzer Miniaturen. Dabei sieht man den alten Mann mal zwischen lauter jungen Mädchen, mal zwischen Schafen, die ein Bauer im Bus transportiert. Mal begegnen ihm nette Menschen, die ihn gar für eine Nacht aufnehmen. Aber auch weniger nette: wie der Busfahrer, der ihn aussetzt. Oder ein Rassist, der eine Muslimin beschimpft. Tom schreitet als Einziger couragiert ein. Die anderen Reisenden? Greifen zum Handy und filmen. Immer mehr dieser Filme landen im Netz, die Kunde von dem Reisenden im Bus geht schließlich viral. Und der Rentner wird berühmt und unterwegs schon erkannt.
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„The Last Bus“, nennen wir den Film ruhig bei seinem besseren Originaltitel, ist ein kleines Kammerspiel, das mit einfachsten Mitteln größtmögliche Wirkung erzielt. Was vor allem an seinem grandiosen Hauptdarsteller Timothy Spall liegt, gleichermaßen bekannt aus Mike Leighs Sozialdramen wie auch aus dem Harry-Potter-Universum. Spall ist noch 25 Jahre zu jung für einen 90-Jährigen, spielt das Alter aber mit großer Glaubwürdigkeit. Und verarbeitet damit auch eine eigene schweren Krankheit, mit der er lange zu kämpfen hatte.
„The Last Bus“ erzählt ganz viel über die britische Insel. Das zeigt sich schon an den mal modernen, mal klapprigen Bussen, in denen der Reisende sitzt, und den Bushaltestellen, an denen er wartet. Und so lernt man auch viel über die Bewohner dieser Insel, die auf uns Festländer ja immer ein wenig exzentrisch wirken.
Den grummeligen Pensionär hat man da trotz seiner Brummbärigkeit längst lieb gewonnen. Und man bangt als Zuschauer genauso mit, ob er sein Ziel erreicht, wie die Menschen im Film. Ein großer kleiner Film, höchst anrührend und zum Heulen schön.
„Der Engländer, der in einen Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ 92 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Blankeneser