Hamburg. Der Sänger genoss bei seinem verspäteten Konzert das Bad in der Menge – und stellte mit „Zufallssongs“ seine Vielseitigkeit unter Beweis.
Kaum sind die ersten drei Takte erklungen und der weiße Vorhang gefallen, da schießt es schon aus allen Rohren: Glitzerndes Konfetti regnet auf die Besucher herab beim ausverkauften Konzert auf der Freilichtbühne im Stadtpark. Ein Start mit Wumms. Mit zwei Jahren Verspätung holt Max Giesinger seinen Auftritt in Hamburg nach – und liefert dabei ein furioses Pop-Heimspiel ab.
„Moin Hamburg“, ruft er der Menge fröhlich mit emporgehobener Faust entgegen. Mit „Taxi“ fängt es gleich schwungvoll an. Giesinger in lässigem Karo-Hemd, schwarzer Hose und Sneakers läuft, tanzt und springt über die Bühne von einem Ende zum anderen und häufiger auch über den schmalen Rasen davor. Von Anfang an herrscht kaum eine Minute Stillstand.
Es folgt der Song „Legenden“, und das Publikum gibt dabei den textsicherem Chor. Nach knapp zehn Minuten nimmt Max Giesinger das erste Bad in der Menge. Läuft plaudernd durch das Rund, nimmt High-Fives entgegen. Hände fassen nach seinem Hemd.
Max Giesinger gibt sich im Stadtpark nahbar
Giesinger ist keiner, der sein Programm routiniert herunterspult, er gibt sich nahbar, offenbart auch Schwächen, tauscht sich aus, fordert Interaktion ein. „Ey Leude“, sagt er manches Mal. „Ich brauch noch mal alle eure Hände“. Und schon recken sie sich ihm im Takt entgegen. „Wie sehr habe ich das vermisst“, bekennt Giesinger.
Der Sänger, Songwriter und Coach von „The Voice Kids“ mit Wohnsitz im Schanzenviertel kann auf das Hamburger Publikum zählen, das sich ungefähr zwischen acht und 80 Jahren bewegen dürfte. Es schätzt seine meist gefühligen sanften Pop-Balladen, viele von seinem aktuellen Album „Vier“, die von einer allzeit sicher aufspielenden fünfköpfigen Band flankiert werden.
Giesinger versteht sich auf Pathos und Party
Live setzen die Musiker vor allem auf Uptempo-Qualitäten. In „Reise“ etwa sinniert Giesinger fast schon philosophisch über das Unterwegssein und Ankommen: „Irgendwo führt jede Reise hin“. Gut, es bleibt immer noch auf eingängigem Pop-Niveau.
Giesinger versteht sich aber genauso auf das große Pathos – und die fröhliche Party. Und mit „Wenn sie tanzt“, „Das Wunder sind wir“, und „80 Millionen“, hat er inzwischen ein ordentliches Hit-Repertoire vorzuweisen. Zwischendurch verzieht er sich auf eine kleine Bühne im hinteren Teil des Stadtparks und gibt dort ein paar intimere Balladen zum Besten wie das melodische „Deine Zweifel“.
Es sei bereits das dritte Stadtpark-Konzert seit 2009, erzählt Giesinger gut gelaunt. Er schont sich selbst nicht. Outet seine wenig glanzvolle Schullaufbahn – unter anderem mit einer Note Fünf im Fach Musik(!). Das sei für ihn so unbegreiflich wie Mathematik gewesen, und dazu habe er nie einen Zugang gefunden. Er sei eine Art Nerd gewesen, ein Fan von Pokémon und Diddl, erzählt Giesinger.
Giesinger erzählt von Anfängen als Straßenmusiker in Hamburg
Doch dann fand er zur Musik. Giesinger erinnert sich seiner Anfänge, als er auf der Mönckebergstraße mit seiner Gitarre stand. „Und dann ging das alles los“, erzählt der Musiker. Den Anwesenden gibt er den Rat: „Bleibt an eurer Sache dran!“ Egal, was die anderen sagen. Wenn er in „Das Wunder sind wir“ singt „Was du suchst/War schon immer in dir“, meint er damit wahrscheinlich auch ein Stück weit sich selbst.
Im zweiten Teil wagt er sich an einige Coverversionen. Die spielten in seinen Anfängen als Straßenmusiker und bei ersten Youtube-Aufnahmen eine große Rolle, bevor er 2011 an der Gesangs-Castingshow „The Voice of Germany“ teilnahm und die dadurch erlangte Aufmerksamkeit stetig ausbauen konnte.
Soft beginnt er jetzt ganz zurückhaltend zur Akustikgitarre mit Reinhard Meys Allzeithit „Über den Wolken“, während auf der großen Bühne ein Akkordeon, ein Cello und ein Klavier zum Einsatz kommen. Später bekennt Giesinger seine Vorliebe für Karaoke und seine Lieblingsbar, die Thai Oase auf dem Kiez.
Giesinger zeigt Vorliebe für Karaoke
Aus einem Topf lässt er Zuschauer „Zufallssongs“ ziehen. Zunächst erklingt tatsächlich der Dirty-Dancing-Filmhit „Time Of My Life“, zu der Gitarrist Steffen Graef erst den weiblichen Part singen und dann auch noch die berühmte Hebe-Szene improvisieren muss. „Das macht großen Spaß mit euch“, ruft Max Giesinger aus.
Nächster Zufallssong: Rammsteins „Sonne“. Ausgerechnet. Er wisse gar nicht, ob seine Stimme in diesen Tiefen zu Hause sei, sagt Giesinger und macht es dann doch ganz ordentlich in einer, na ja, etwas weichgespülten Version. Die röhrenden Gitarren und das zackige Lichtspiel gleichen die Stimme aus.
Mit „Für Dich“ folgt ein schön-trauriges Trennungslied – mit einem fast an Fleetwood Mac erinnernden Intro und einer aparten Pedal-Steel-Gitarre. Und dann fliegt gleich noch einmal silbernes Lametta aus den Konfetti-Kanonen.
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Vor Giesingers Auftritt gab ein Newcomer den Support im Stadtpark: Gregor Hägele war nach ersten Youtube-Erfolgen als Talent in der siebten Staffel „The Voice of Germany“ dabei und ist erst 22 Jahre alt, aber äußerst selbstbewusst. Von Giesinger hat er sich offenbar einiges abgeschaut. Die freundliche Nahbarkeit, das Kumpelige, Menschelnde.
Nicht ohne einen Hauch charmanter Selbstironie nennt Hägele seine anstehende Tour im kommenden Jahr übrigens „Mama, ich bin dann mal auf Tour“. Was Giesingers nächste Tournee angeht, mag sein Hit „Auf das, was da noch kommt“ einen Ausblick geben. Am 22. März spielt der Popstar tatsächlich sein erstes großes Hallenkonzert in der Barclays Arena.