Salzburg. Kopfkino statt Kulissenshow: Teodor Currentzis dirigierte Bartóks Einakter „Blaubarts Burg“ und eine Oratorienoper von Carl Orff.

Hier zwei einsame, langsam ausblutende Herzen, die in ihrer Suche nach der einen, wahren Liebe zerstörerisch füreinander sind. Dort eine Menschheit, die ihrem gottgewollten Ende entgegenjammert, bis am Ende Luzifer im Büßergewand auftaucht, dem stellvertretend von höchster Instanz alles für alle vergeben wird. Wahlweise in Altgriechisch, Kirchen-Latein oder pathetisch rumpelndem, krachkatholischen Oberammergau-Deutsch. Apokalypse na ja geht so.

Auf die Idee, Bartóks symbolistisch kluges, auch in der Klangsprache hauchfein verästeltes Zwei-Personen-Trauerspiel „Blaubarts Burg“ mit einem religionsphilosophisch überladenen Spätwerk des ohnehin oft schwer erträglichen Carl Orff
zusammenzuzwingen, kann man ungebremst wohl nur an einer Adresse wie den Salzburger Festspielen kommen.

Salzburger Festspiele: Duo sorgte für Schlagzeilen

Dessen „De Temporum Fine Comoedia“ war 1973 durch (man glaubt es kaum) Herbert von Karajan dort uraufgeführt worden – und danach verdient schnell in der Versenkung jener Orff-Liebhaberei verschwunden, die seinen Personalstil aus viel Schlagwerk und wenig Substanz für gegenwartswichtig hält.

Im vergangenen Sommer, als die Welt eindeutiger in Ordnung war, hatten der Dirigent Teodor Currentzis und der Regisseur Romeo Castellucci bei ihrem geistreich ausgereizten „Don Giovanni“ eine Luxuslimousine als ersten von vielen Schauwerten aus dem Bühnenhimmel plumpsen lassen. So sorgten sie gemeinsam in einigen Feuilletons für mitunter drollige Aufreger-Schlagzeilen über das Mozart-Spektakel.

Currentzis steht unter moralischem Druck

In diesem Jahr aber steht Currentzis unter ernsterem moralischen Druck, weil er sich und seine Ensembles in St. Petersburg von Putin-nahen Kreisen mitfinanzieren und engagieren lässt und sich gleichzeitig nicht von Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine distanzieren kann oder will. Und auch die Salzburger Festspiele sind wegen ihrer Haltung zu Currentzis’ Haltung in Erklärungsnot geraten. Bei der Premiere jedoch war das alles kein Thema: keine Buhrufe, nirgends, stattdessen heftiger, erschöpft kurzer Beifall und stehende Ovationen für das gesamte Ensemble.

Castellucci wollte eine Unmenge auf der riesigen, kunstvoll verdüsterten Spielfläche sichtbar machen, um die Äpfel mit den Birnen auf einen Nenner zu bringen: Einerseits psychotherapierendes, tiefenbohrendes Grübeln, mit zwei Menschen, die sich und ihre Urängste umkreisen, und andererseits die Wucht archaischen Ritualtheaters, am besten noch metaphysisch jedermanniger als der berühmt-
berüchtigte Salzburger „Jedermann“.

Kopfkino statt Kulissenshow

Das Gegensatzpaar Blaubart und Judith transzendierte leibhaftig ins karge Bühnenbild hinein, wurde zu großen Feuerzeichen, die höchst ästhetisch aufflackerten, und zum finsteren Wasserspiegel auf der Bühne. Dazu eine sehr intensive, sehr schlüssige Personenführung, ein Stellungsspiel auf Leben und Tod. Mehr war nicht. Mehr musste auch nicht. Also auch kein schlichtes, frontales Vorzeigen der wundersamen Dinge hinter den sieben verschlossenen Türen, die Judith, eine nach der anderen, öffnet.

Die Ausmaße der Riesenbühne blieben radikal ungenutzt. Kopfkino statt Kulissenshow, auch für die Ohren, denn Ausrine Stundyte machte die Widersprüche ihres Charakters mit packender Intensität und ohne unnötige Eitelkeiten hörbar. Mika Kares’ Blaubart, fein und warm, blieb im Noblen etwas blass und zuarbeitend.

Orff-Abschnitt begann mit einer Steinigung

Wo beim besten Willen keine mehr oder weniger sinnstiftenden Plot-Klammern zu haben waren, hatte der Bilderverrätseler Castellucci sie in größerem Maße dazuerfunden: Als „Blaubart“-Auftakt weinte ein Baby und stöhnte leidend eine Frau, mittendrin hantierten Blaubart und Judith mit der Puppe eines Babys, das womöglich gerade totgeboren oder ermordet worden war? Man weiß es, wie so vieles, nicht. Zwischendrin schloss Judith – ganz schlechte Idee, wenn man barfuß in einer Wasserlache steht – eine Autobatterie an ihre Metall-Liege, als wolle sie sich damit umbringen, überlegte es sich dann aber doch anders.

Der Orff-Abschnitt begann mit der Steinigung Judiths durch die neun apokalyp­tischen Sibyllen, im Finale tauchte sogar das Bartók-Paar wieder auf, demütig neben Luzifer knieend, der sich, Kleiderschicht für Kleiderschicht ablegend, vom Herrn der Finsternis zum weißen Unschuldsengel häuten und geläutert ins Off schreiten durfte. Das roch dann weder nach diabolischem Schwefel noch nach Weihrauch, das müffelte lediglich nach dick aufgetragenem Sakral-Schmalz.

Gustav Mahler Jugendorchester schwächelte teilweise

Vorangegangen waren allerdings viele beeindruckende Lebende-Bilder-Installationen, Castellucci as Castellucci can gewissermaßen: die wütenden Klageweiber, Mönchsgestalten, die streng durchchoreografiert wurden, unschuldige Kinderlein kamen und wurden gemeuchelt, Männer, die auf große Baumstämme starrten, auch der synchron brüllende Einar-Schleef-Theater-Chor wurde wieder lebendig. Castellucci häutete schließlich den gesamten Bühnenboden, aus dem eine amorphe Menschleinmasse herauswuchs und wie ein amoklaufender Zellklumpen tobte und darbte.

Wenig Licht bei all dem auf der Bühne, einiges an Schatten davor, im Graben: Dem Gustav Mahler Jugendorchester schien die Auseinandersetzung mit Bartók zunächst an die Grenzen des Leistbaren zu treiben. Fahl und leise in den Farben, übervorsichtig in der Ausformulierung, matt im Glanz, unterwältigend bis auf die wenigen Momente, in denen Currentzis das Tutti von der Kette ließ. Er ohne sein MusicAeterna-Orchester, das ist in solchen Extremfällen eine nicht ideale Konstellation.

Salzburger Festspiele: Currentzis hatte das Orchester im Griff

Nach der Pause, ganz anders aufgestellt, änderte sich dieser Eindruck drastisch: Man muss, Gott sei Dank, Orffs Musik nicht mögen. Aber man muss staunend anerkennen, wie Currentzis den monströsen Orchesterapparat inklusive Fernorchester, Bläsermassen, Tonbandzuspielungen, Chören und 30 Schlagzeugern im Griff hatte und bis hin zum Höllenkrach weder Zweifeln noch Wackeln duldete. Großes Musiktheater. Nur eben leider auch mit diesem Stück von Orff.