Hamburg. Der britische Soulstar spielte vor einem begeisterten Bescheidwisser-Publikum ein kurzes, aber beeindruckendes Konzert.

Er kommt da mehr angeschlurft als gelaufen, hält schulterhoch eine Hand in den Jubel, das muss reichen. Michael Kiwanuka scheint das Ganze immer noch ein wenig unheimlich zu sein. Der neue Otis Redding, der neue Bill Withers, der nächste schwarze Superstar, das Versprechen darf man sich bei ihm aussuchen.

Am Freitag im Stadtpark ist Kiwanuka ein unscheinbarer Mann vor einem so gut wie ausverkauftem Oval. Von mehreren Generationen, Bartträgern und jungen Frauen in Retrokleidern, Fleecejacken und Trucker-Cappies. Ein Bescheidwisser-Publikum, das natürlich wieder Recht behält.

Michael Kiwanuka: Mehr als diese Stimme braucht es nicht

Der Mann greift sich einfach die Gitarre, schließt die Augen, steht wie festgetackert und lässt es fließen. Mehr als diese Stimme und die klare Akustik braucht es ohnehin nicht: Kiwanuka kann warme Wellen entfesseln, die tief in Bauch und Seele aufbranden. Schnellere Nummern wie „One More Night“, mit denen er den Stadtpark auf Temperatur bringt, zeigen auch gleich ein bevorzugtes Stilmittel: fast monotone, wiederkehrende Textzeilen oder Chöre auf lässig dahin groovende Bass- und Gitarrenlinien. Kiwanuka bricht die Struktur auf, bevor sie ins Nervtötende kippt („You ain’t the Problem“).

Das nach ähnlichem Muster größtenteils aus dem Songtitel bestehende „Black Man in a White World“ wird live so zu einem kleinen Triumph, der Hamburger Fischköpfe mit ansteigender Wucht in die Gefühlswelt eines Mannes zieht, der als Kind ugandischer Eltern in London aufwuchs. Nachdem der tanzende Stadtpark am Ende wieder zur Ruhe kommt, reckt eine Frau im blauen Flatterkleid zwei Peace-Zeichen in die Höhe.

Michael Kiwanukas Zwei-Frauen-Chor, himmelschreiend verschenkt als bloße Begleitung

Kiwanukas drittes, selbstbetiteltes Album pflegt nicht nur im Stil, sondern auch politisch ein Erbe der Motown-Ära: „Hero“ ist am Freitagabend eine am Anfang leise, dann zu hendrixesk-flirrenden Gitarre schreiende Wehklage aller Unterdrückung und hassgeborener Gewalt.

„Please don’t shoot me down / I love you like a brother / It’s on the news again / I guess they killed another“, singt Kiwanuka. Die ganze Ohnmacht, das Nicht-Fassen-Können und die Verzweiflung über einen Kampf für Gleichheit, der nicht enden will, in vier schmalen Zeilen.

Kiwanukas Zwei-Frauen-Chor, dessen Stimmen als reine Begleitung himmelschreiend verschenkt sind, trägt den Song zum Schluss in fast überirdische Höhen. Es folgt der lauteste Applaus bis zur Zugabe. Erst im Zusammenspiel mit diesen Sängerinnen, im Vor-und-Zurück, wird ganz großer Soul im Stadtpark lebendig.

Stadtpark: Beinahe wird es zu viel der getragenen Schwere

Da ist es schade, dass beide Frauen gerade im zweiten Drittel des Konzerts teilweise nur noch als Tamburinspielerinnen fungieren dürfen. Auch die Spannung knickt leicht ab, es wird beinahe zu viel der getragenen Schwere, auch wenn Kiwanuka mit „Light“ ein Gegengewicht zu setzen versucht.

Mehr als ein paar Worte zum Publikum, wie schwer die Corona-Jahre waren, sagt Kiwanuka nicht zum Publikum und bleibt auf seiner Stelle in der Bühnenmitte. Er hat seinen Stil gefunden, nur seine ganze Wucht und Bandbreite dem Anschein nach noch nicht entdeckt.

Michael Kiwanuka: 90 Minuten nur, doch es gibt nichts zu bereuen

Das Versprechen dieses Mannes aber lebt. Man hört es in „Cold Little Heart“, das ihn einst zum Kritiker-Liebling gemacht hat, noch mehr aber zum Schluss in „Love & Hate“. Es gibt lange Musikerkarrieren, die trotzdem kaum in die Nähe eines Songs wie diesem kamen. Der einen gefangen nimmt, vorwärts schiebt durch alle Folter und Erlösung, die jeder Liebende einmal durchgemacht hat. Alles fühlt, schwelgt und bebt im Stadtpark, für sich oder gemeinsam.

Gut 90 Minuten sind erst vergangen, da lässt Kiwanuka die Gitarre los und geht wieder. Es gibt trotzdem nichts zu bereuen.