Hamburg. Der exzentrische Pianist machte aus der Laeiszhalle ein Tollhaus. Chilly Gonzales ließ sich rappend durchs Publikum tragen.
Natürlich ist dieser Mann ein Genie: Wer so Klavier spielen, es auch noch erklären kann, wer rappt wie eine Mischung aus Olli Dittrich und Eminem und am Ende sich auf den Händen der Zuschauerinnen (ja gut, auch ein paar Zuschauer) per Crowdsurfing rücklings durch den Innenraum der ehrwürdigen Laeiszhalle tragen lässt – der hat schon was. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie ist Chilly Gonzales zurück in Hamburg, wahnsinniger denn je. Unter den hohen Stuckdecken ein Tollhaus.
Auf seiner Tour 2022 lässt der Mann, der vor 50 Jahren in Kanada geboren wurde, alles raus. „Now that Covid is over …“ sagt er schelmisch bei einer seiner Ansagen, die genauso wohltemperiert wahnsinnig sind wie sein Pianospiel, das so sanft beginnt, verträumt jazzig weitergeht und im ekstatischen Stakkato von "Knight Moves" endet. Seine mehr als zwei Stunden währende Chilly-Mischung in der ausverkauften Laeiszhalle ist die Quintessenz seines zwei Jahre währenden Eingesperrtseins in sich selbst.
Chilly Gonzales in Hamburg: Crowdsurfing in der Laeiszhalle
Als er irgendwann den Bassisten seiner neuen Band auf die Bühne holt, dann Geiger, Cellistin und Schlagzeuger, ist klar: Jetzt geht der Käfig auf, die Tiger werden rausgelassen. Dass der Schlagzeuger auch der Trompeter ist, die Frau am Cello auch Piano spielt – alles Teil des dramaturgisch ausgereiften Abends.
Sein Deutsch-Englisch ist so spritzig wie alle Ansagen. So oft hat man „You motherfuckers” als Anrede des Publikums in der Laeiszhalle vermutlich nicht gehört. Chilly weiß, wie man in Hamburg Würze ins Spiel bringt. „Fuck the Elbphilharmonie“, sagt er und lobt die Laeiszhalle. Hier spielt er am liebsten. Ok, gibt er zu und fängt die Bildungsbürger ein: „Die Elbphilharmonie ist adäquat.“ Wie er „adäquat“ ausspricht, erinnert an Lehrer Lämpel aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“. Chilly Gonzales vereint beide Charaktere in sich.
Dann lässt er sich auf Händen über das Publikum tragen: Crowdsurfing hin und zurück und noch eine Runde. Die Band hämmert den Rhythmus dazu, er rappt auf dem Rücken: „Surf, surf, surfing the crowd!“ Na klar, sagt er, bevor er sich ins Publikum stürzt: „Ich wurde auf Corona getestet – letztes Jahr.“ Und am Ende quietscht er die Zuschauerinnen im Parkett an: „You touched my ass.“ Auch den Hintern von Chilly Gonzales wird man im Blick behalten müssen.