Hamburg. Gangsterfilm von Regisseur Graham Moore spielt im Chicago der 50er-Jahre. Ein Schneider wird in kriminelle Machenschaften verwickelt.

Für das ungeschulte Auge, das hören wir schon im Eröffnungsmonolog, besteht ein Anzug aus zwei Teilen: aus einer Jacke und einer Hose. Aber diese zwei Teile werden aus vier verschiedenen Stoffen gefertigt: aus Baumwolle, Mohair, Seide und Wolle. Und diese vier Textilarten werden wiederum in 38 verschiedene Stücke geschnitten. Der komplizierte Prozess, sie zu fügen und zu arrangieren, erfordert 128 Arbeitsschritte.

Dabei gleiten Scheren sanft durch Stoffbahnen, werden sorgsam Schnittmuster erstellt und zärtlich Kreidemarkierungen gesetzt. „The Outfit“, das wird gleich zu Beginn klar, ist ein mit höchstmöglicher Akkura­tesse inszenierter Ausstattungsfilm, der nicht nur aus Liebe zum Material besteht. Es geht um all die großen Fragen, die an der Mode hängen: Wie will ein Mensch in ihr erscheinen, was kann sie aus ihm machen, was lässt sich mit ihr verbergen?

Kino: Originalvertonung empfohlen

Moderiert und manchmal ins Philosophische erhoben wird das Thema von dem soignierten Leonard (Mark Rylance), der sein Handwerk natürlich an der Londoner Savile Row erlernt hat und dessen wunderbar raues Britisch es dringend empfehlenswert macht, sich den Film im Original anzusehen. Leonard, ein perfekt gekleideter und sanftmütiger Gentleman-Maßschneider im besten Alter, ist in den 1950er-Jahren von London nach Chicago gezogen und hat dort ein neues Geschäft eröffnet. Weil es vor allem Gangster mit entsprechend hohen Einkünften sind, die sich seine Anzüge leisten können, geht bei ihm die mafiöse Unterwelt ­regelmäßig ein und aus – von ­deren Geschäften der diskrete Leonard allerdings lieber nichts wissen will.

Denn Unwissen schützt ja auch: So interessiert sich Leonard besser nicht für den toten Briefkasten, den die Mobster bei ihm im Hinterzimmer eingerichtet haben und mit dem sie sich geheimnisvolle Dinge zuschieben. Es ist die Verbrecherfamilie Doyle, die hier einen Krieg gegen eine rivalisierende Bande vorbereitet. Eigentlich will Leonard ignorieren, dass seine Assistentin Mable (Zoey Deutch) ein Techtelmechtel mit Richie Boyle (Dylan O’Brien) pflegt, dem Sohn des Obermobsters Roy Boyle (Simon Russell Beale).

Film spielt nur in der Schneiderei

Er versucht wegzuhören, wenn sich Richie mit seinem Kompagnon Francis (Johnny Flynn) darüber austauscht, dass möglicherweise ein Maulwurf in die Gangsterfamilie eingewandert ist und Informationen an die Ermittlungsbehörden durchsticht. Auch das Tonband, auf dem sich die heikelsten Informationen befinden, soll ihn gar nichts angehen. Aber irgendwann geht das nicht mehr, weil der Krieg der Kriminellen mitsamt ihren Schusswunden in sein Atelier kommt.

Es ist im Wortsinn ein Kammerspiel, das Regisseur Graham Moore hier inszeniert hat – die Kamera wird fast für die gesamten 106 Minuten in den Räumen der Schneiderei bleiben, die von der britischen Szenenbildnerin Gemma Jackson perfekt ausgestattet wurden und in ein wunderbar dämmerndes Hinterzimmerlicht getaucht sind. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man hier schnell die Adaption eines Theaterstücks vermuten, aber Moore hat die irrwitzige Handlung zusammen mit Jonathan McClain eigens für die Leinwand ersonnen.

Sie ist deshalb so fesselnd, weil sie Haken schlägt wie ein Feldhase und man sein Bild der Figuren permanent nachjustieren, oft auch revidieren muss. Vielleicht ist die Assistentin ja gar nicht so verträumt, wie es scheint? Woher kommt eigentlich Leonards Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten auf dreiste und zugleich hochintelligente Weise zu lügen? Das macht große Freude und ist auch in seinen schnellen, scharfen Dialogen schon jetzt eines der besten Kinoerlebnisse des
Jahres.

„The Outfit“ 106 Minuten, ab 16 Jahren, läuft im Abaton (OmU), Holi, Zeise (auch Omu)