Hamburg. Euphorischer Applaus: Das Gastspiel des Deutschen Theaters in Hamburg funkelt dank einer rundum stimmigen Inszenierung.

Was für ein funkelndes Schwarz-weiß, welch schillernde Grautöne! Wie unterhaltsam Florian Lösches vermeintlich schlichte, leicht schräge Kastenbühne, deren bespielbare Wände komplett aus elastischen Seilen bestehen, die moralische Flexibilität der hinreißend damit agierenden Gesellschaft spiegelt.

Eigentlich hat Alceste die Menschen satt. Zu heuchlerisch, zu falsch sind sie ihm: „Alle reizen meine Galle“, ätzt Ulrich Matthes als Molières berühmter Misanthrop im Gastspiel des Deutschen Theaters am Schauspielhaus. Doch auch seine Abscheu ist dehnbar: Für Célimène macht „Der Menschenfeind“ eine Ausnahme, sie vergöttert er, hier sind der Trieb und die Vernarrtheit stärker als die radikale Prinzipienreiterei. Eine Schwäche, die ihm, der selbst Höflichkeit als perfides Übel verachtet, erst seine Menschlichkeit verleiht: „Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen,/wer das behauptet, ist nie Mensch gewesen.“

"Der Menschenfeind" im Schauspielhaus: Ausgeleiert ist hier gar nichts

Schon mehr als drei Jahre alt ist Anne Lenks Berliner Inszenierung, die nun erst – Corona hatte es bislang verhindert – beim Hamburger Theaterfestival gastierte. Aber, um im Bild der kongenial durch Licht (und Schatten!) von Matthias Vogel und die ebenfalls ganz in Schwarz und Weiß gehaltenen Kostüme von Sibylle Wallum ergänzten Gummitwist-Bühne zu bleiben: Ausgeleiert ist hier gar nichts.

Sprühend heutig ist vielmehr Lenks Lesart, in der sich Célimène, wie sie die fantastische Franziska Machens verkörpert, mit Humor, lässiger Erotik und irrsinnig charmanter, spöttischer Coolness ins Zentrum spielt. Um sie, die spektakulär barfüßige schwarze Witwe, balzen all die lächerlich eitlen Verehrer, suhlen sich in ihrer Selbstzufriedenheit und gekränkten Männlichkeit.

"Der Menschenfeind": Euphorischer, seliger Schlussapplaus

An diesem in anderthalb kurzweiligen Komödienstunden dahinschnurrenden Abend stimmt eigentlich alles: Die von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens toll übersetzte Vers-Sprache, in die man sich beim Schauen und Hören verliebt. Das lustvolle Ensemble, das perfekt harmonisiert, ohne der Versuchung zu erliegen, die Pointen zu arg zu überdehnen. Die immer wieder durchscheinende, anrührende Wahrhaftigkeit.

Auch das Wiedersehen mit Judith Hofmann (die einst unter Ulrich Khuon zum Thalia-Ensemble gehörte) als glamourös gouvernantenhafte Arsinoé, die sich der flirrenden Célimène geschlagen geben muss. Und natürlich das feinsinnige, genaue Spiel von Ulrich Matthes. Jedes indignierte Heben der Augenbrauen, jedes Kopfneigen, jede Anmaßung.

Euphorischer, seliger Schlussapplaus.