Hamburg. Dirigent Ingo Metzmacher, das Ensemble Modern und die Chöre verschmolzen im Großen Saal bei Mark Andres neuem Wunderwerk „rwh 1-4“ .

Dass man in der Elbphilharmonie sitzt und staunt, ist ja nichts Neues. Aber beim Komponisten Mark Andre bekommt das nochmal eine ganz andere Dimension. Sein erst kürzlich uraufgeführtes Stück „rwh 1-4“ ist ein Wunderwerk der Nuancen, eine knapp neunzigminütige Ode ans Lauschen und an die Räumlichkeit, wie maßgeschneidert für den Großen Saal.

Zusätzlich zu 18 Musikerinnen und Musikern auf der Bühne sind weitere Mitglieder vom Ensemble Modern sowie sechs Chöre und zahlreiche Lautsprecherboxen auf den Rängen verteilt. Im Zusammenspiel von akustisch erzeugten und elektronischen Klängen kreiert Dirigent Ingo Metzmacher ein faszinierendes, filigran verästeltes Surroundsounderlebnis. Im zweiten und vierten Satz stehen die Chöre auf. Über zweihundert Vokalstimmen schweben von den oberen Rängen herab, sie verdichten sich zu einem Cluster, sanft und geheimnisvoll. Nur die trockenen Anschläge des Pianisten am Flügel klopfen dazwischen, wie ein Specht im Nebel oder das Ticken der Lebensuhr.

Die Sounds beschwören eine geheimnisvolle, mystische Stimmung

Ganz weich dagegen die Konturen im ersten Satz. Ein Unisonoton – kommt er von Streichern oder Bläsern? – schwillt allmählich an, beginnt zu fluktuieren und gleitet durch den Raum, wie von höheren Mächten geführt. Über uns, hinter dem Rücken, dann wieder zurück. Viele recken die Hälse. Was passiert da gerade? Wir hören und spüren die Anwesenheit des Klangs, können ihn und seinen Ursprung aber nicht wirklich fassen oder begreifen. Mit dieser Erfahrung schafft Andre, schaffen die Interpreten eine spirituelle Erfahrung. Und das ist natürlich kein Zufall bei einem Komponisten, dessen Werke oft einen religiösen Hintergrund haben, geprägt vom christlichen Glauben.

Der Titel „rwh“ beruft sich auf das aramäische Wort „ruach“, es steht für die Idee von Luft, Wind und Duft, aber auch für den Heiligen Geist. Und so rücken die Laute des Atems und Atmens ins Zentrum. Wenn die Mitglieder des Ensemble Modern nicht nur auf Instrumenten spielen, sondern hörbar hauchen, wenn dieses Hauchen sich computergestützt im Raum verbreitet, oder wenn die Klangregie eine unsichtbare Orgel samt Luftpustgeräusch herbei beamt. Die Sounds beschwören eine geheimnisvolle, etwas mystische Stimmung. Sie tasten oft am Rand der Stille entlang und erkunden die Verletzlichkeit des Pianissimo. Für solche ultraleisen Momente ist die Elbphilharmonie der ideale Ort. Und fürs Staunen natürlich auch.