Hamburg. Das Konzert der Star-Geigerin in Hamburg wird zum Erlebnis. Dank Dirigent Petrenko sitzt das Publikum sofort auf der Stuhlkante.
Nicht alle Wunderkinder halten, was sie versprechen. Aber Anne-Sophie Mutter hat es geschafft. Seit fast fünf Jahrzehnten ist sie eine der größten Geigerinnen. Zu den Einspielungen und weltweiten Auftritten kommen ihr soziales Engagement, eine Stiftung zur Förderung Hochbegabter und mehr. Im großen Saal der Elbphilharmonie bewies sie einmal mehr ihre Klasse. Ihre Partner beim Violinkonzert von André Previn, das Royal Philharmonic Orchestra aus London und sein Musikdirektor Vasily Petrenko, konnten sehr gut mithalten.
Ihr Ton ist ihr Markenzeichen: Satt, süffig, schwelgerisch, viel Vibrato, manchmal auch zu viel, aber das ist Geschmackssache. Und das ist ihr Image seit Jahrzehnten: hautenge, schulterfreie Kleider – in der Elbphilharmonie diesmal ein helles Kobaltblau –, unten ein wenig ausgestellt, man kann an eine Nixe denken. Ein rätselhaftes, unnahbares Wesen: Anne-Sophie Mutter, die „Grande dame“ der deutschen Geigenkunst.
Anne-Sophie Mutter: Virtuos in der Elbphilharmonie
Ein bisschen unnahbar wirkte Anne-Sophie Mutter anfangs auch bei ihrem Gastspiel. Ihr Ton gewann erst im Verlauf an Strahlkraft. Das 2001 komponierte Violinkonzert von André Previn (1929-2019) heißt „Anne-Sophie“ und war ein Geschenk des Dirigenten und Komponisten an die Künstlerin zur Verlobung, die beiden waren vier Jahre miteinander verheiratet. Es steckt voll schwelgerischer Zärtlichkeit, rhythmisch energischen Passagen, virtuosen Abschnitten, wie zugeschnitten auf die Qualitäten von Anne-Sophie Mutter.
In seinem Konzert mischt Previn geschickt die Genres, neben Klassik, Romantik und Moderne und sogar einem Kinderlied hört man viel Jazz und Filmmusik – Passion und Qualität des 1938 aus Nazi-Deutschland in die USA emigrierten Musikers, der mehrfacher Oscar-Preisträger war. Anne-Sophie Mutter kennt ohnehin keine Genre-Grenzen, seit vielen Jahren arbeitet sie etwa mit Filmmusik-Komponist John Williams zusammen. Die Kontraste der Stile in Previns Konzert vermittelte sie effektvoll, sehr natürlich, sehr souverän, ob virtuos oder lyrisch nach innen gekehrt. Riesenbegeisterung und einen Previn-Song als Zugabe.
Elbphilharmonie: Petrenko dirigiert messerscharf
Zum Stilmix in Previns Violinkonzert passte wunderbar der Auftakt des Abends, die „groovige“ Ouvertüre zur Operette „Candide“ von Leonard Bernstein, ein weiterer virtuoser Grenzüberschreiter der Musik-Genres. Da saß man nach wenigen Sekunden auf der Stuhlkante, weil Dirigent Vasily Petrenko das Royal Philharmonic Orchestra mit unglaublichrt Energie leitete. Der Mann weiß, was er will. Messerscharf genau die angespitzt-flotten Rhythmen, herrlich als Kontraste dazu die fließenden Passagen, bei denen Petrenko einen faszinierend homogenen Klang aus dem Orchester holte.
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Ein Erlebnis und noch einmal die Demonstration der Qualität von Dirigent und Orchester waren zum Abschluss die „Sinfonischen Tänze“ von Sergej Rachmaninow. Spannungsvoll aufgebaute dynamische Wellen, unerbittlich peitschende Rhythmen, ein Walzer, der mit fahlen Farben bedrohlich konterkariert wurde und am Schluss ein infernoartiger Totentanz. Wieder saß man auf der Stuhlkante, wie packend Petrenko Rachmaninows letztes Werk, das auch die Schrecken des Krieges reflektiert, dirigierte. Ein Könner.