Hamburg. NDR Vokalensemble will mit voiceXchange neues Publikum anlocken. Das dürfte beim Auftaktkonzert gelungen sein – und wie!
Für dieses Event am späten Dienstagabend verwandelte sich der Mojo Club auf der Reeperbahn dann doch in einen kleinen Konzertsaal. Anstatt das Auftaktkonzert der neuen Reihe voiceXchange von vier Solistinnen und Solisten des NDR Vokalensembles im Stehen hören zu müssen, hatte ein Großteil der Gäste einen Sitzplatz in den extra hierfür eingerichteten Stuhlreihen ergattern können.
Dahinter beanspruchte ein gewaltiges Mischpult viel Raum, weil die Idee des Abends ja darin bestand, elektronische Klänge des auf dem Podium mit den Vokalisten zusammen agierenden Musikproduzenten Martin Stimming mit den live gesungenen Chorsätzen zu vermischen. Die neue Reihe, die bis zu viermal im Jahr in unterschiedlichen Clubs stattfinden soll, war vom NDR Vokalensemble selbst ausgegangen. „Uns war es wichtig“, so der Bassist Andreas Heinemeyer, „kreative neue Formen für den Umgang mit der Stimme und Vokalmusik zu finden, die sich nicht im klassischen Rahmen abspielen.“
Mojo Club: Der Trockennebel bläst aus allen Rohren
Hemmschwellen wollen die Vokalisten abbauen und neues Publikum anlocken, was ihnen am Dienstag bereits blendend gelungen ist. Hip-Hop mit Synthesizer traf dabei auf 600 Jahre alte Musik von Guillaume Dufay, Electrobeats auf Johann Sebastian Bach und die Gesangslinien vermischten sich mit Sampling-Sounds, während der Trockennebel im Mojo Club aus allen Rohren blies.
Das Raffinierte bei alldem war aber, dass trotz der langen Vorbereitung und einem zum großen Teil ja auch fixierten Notentext viel Improvisation mit im Spiel war. Bei Arvo Pärts Solfeggio spielte Martin Stimming mit aufgenommenen und reproduzierten Stimmfragmenten, imitierte elektronisch Atemgeräusche und projizierte sie in die Akustik des Clubraums. Bei einem vom 2018 gestorbenen Komponisten Dieter Schnebel neu gesetzten Contrapunctus von Bach hatte Martin Stimming, wie er in einer kurzen Zwischenmoderation einräumte, länger für seine Adaption gebraucht.
Mojo Club kann etwas "Kathedralenhaftes" annehmen
Aus Respekt auf der einen Seite, aber eben auch wegen der eigentlich unzerstörbaren Substanz und Ausdruckskraft der Bachschen Musik. Wie organisch die elektronischen Klänge in das herrliche Kyrie aus einer Dufay-Messe übergingen, war hinreißend. Ja, da wurde für wenige Minuten klar, dass der an durchaus anderes Repertoire gewöhnte Mojo Club auch etwas „Kathedralenhaftes“, wie es die Altistin Anna-Maria Torkel ausdrückte, annehmen kann.
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Zwischen den klassischen Stücken präsentierte Stimming auch eigene Werke ohne Gesang wie sein „Fahrradgabel“-Werk, in dem er reale Klänge eben dieses beliebten Fortbewegungsmittel in den Synthesizer einspeiste und Klangflächen daraus zauberte. Er besiegt damit das Statische einer Maschine, durchsetzt sie variativ und kreativ mit Kontrastklängen, Rhythmen und Geräuschen, dass es nur eine Freude ist.
Das nächste Konzert der Reihe voiceXchange findet übrigens schon am 27. Juni in der Halle 424 (Stockmeyerstraße 43) mit Elbtonal Percussion als Begleiter statt.