Hamburg. „Herr Klee und Herr Feld“ verhandelt Beziehungshumor und Politikdiskussion, Holocaust-Gedenken in den Kammerspielen.
Ein guter Theaterabend stellt die wichtigste Frage gleich zu Beginn. „Wo, bitte, ist das Feuilleton abgeblieben?“ muffelt sich Moritz Kleefeld in Michel Bergmanns Romandramatisierung „Herr Klee und Herr Feld“ an den Hamburger Kammerspielen durch seine Tageszeitung, und das ist doch schon mal ein ordentlicher Einstieg. Zumal Udo Samel diesen Menschen als sympathische Bildungsbürger-Karikatur spielt: mit Strickjacke, Glatze und Bäuchlein, aber auch mit der Lebensklugheit des emeritierten Soziologieprofessors. So jemand darf missmutig reagieren, wenn ihm der Vormittag im Frankfurter Altbau durch das fehlende Feuilleton verleidet wird, weil: So jemand braucht den Kulturteil fürs Wohlbefinden.
„Herr Klee und Herr Feld“: Die Weltpolitik bricht in die Altersbürgerlichkeit ein
Wer den Kulturteil nicht braucht: sein älterer Bruder Alfred. Der liest nämlich Klatschzeitschriften. Alfred hat eine mehr oder weniger erfolgreiche Schauspielkarriere in italienischen Horrorfilmen hinter sich und ist jetzt, magen- und herzkrank, bei Moritz eingezogen. Bei Matthias Habich ist Alfred ein Lebemann, der zwar weiß, dass die wilde Jugend vorbei ist, dieses Wissen aber durch Selbstironie und Giftigkeit kompensiert. Mit der spät wiederentdeckten Religiosität seines Bruders kann er nichts anfangen, mit dem geregelten Tagesablauf auch nicht – was die erste halbe Stunde von „Herr Klee und Herr Feld“ zur hübschen Variante der „Alterndes Gegensatzpaar liebt und neckt sich“-Tragikomödie macht. Und auch einen Hinweis darauf gibt, mit welchem Gespür für bühnentaugliche Dialoge Bergmann und Anke Apelt die Romanvorlage fürs Theater umgearbeitet haben: Als Komödie passt hier ziemlich viel zusammen.
Bald kündigt die vom ständigen Bruderzwist genervte Haushälterin Gerlinde (Monika Häckermann), und ihre Stelle nimmt Zamira (Nina Niknafs) ein, nach einer Reihe von hübschen Bewerbungsgesprächsminiaturen, bei denen sich nacheinander eine Pedantin, eine Schwäbin und eine Antisemitin (alle: Angelika Bartsch) unmöglich machen. Wodurch plötzlich die Weltpolitik in die Altersbürgerlichkeit einbricht: Zamira ist Palästinenserin, die Kleefelds sind Juden.
Niknaf spielt Zamira lebenslustig, intelligent und unbekümmert
Uraufführungsregisseurin Ulrike Maack übertreibt diesen Gegensatz nicht: Weder wird Zamira als kopftuchtragende Eifererin gezeichnet (Kostüme: Claudia Krull), noch stehen jüdische Attribute im Vordergrund. Einzig das Beleuchtungsgerüst bildet einen Davidstern (Bühne: Lars Peter), den man freilich auch als Deko-Element lesen kann. Und dass Moritz den Sabbat feiert und sich koscher ernährt, ist anscheinend auch mehr die Schrulle eines alten Mannes als echte religiöse Überzeugung. Aber dennoch entsteht hier eine Fallhöhe, mit der das Stück erstmal umgehen muss.
Vielleicht löst die Inszenierung das ein bisschen zu hastig, vielleicht kann man nicht direkt vom Vorstellungsgespräch zur abendlichen Diskussion über den Nahostkonflikt wechseln. Andererseits ist das schon stimmig gelöst: Wie Niknafs Zamira spielt, lebenslustig, intelligent und mit erfrischender Unbekümmertheit, das hat Charme. Und man kann sich vorstellen, dass sich eine Figur wie Alfred diesem Charme nicht entziehen möchte, dass der Filou sich freut, eine junge Frau um sich zu haben und sich deswegen auch auf Diskussionen einlässt, die durchaus ans Eingemachte gehen.
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Im letzten Drittel wird die Geschichte konventionell und vorhersehbar
„Jede Nation hat ihre Juden“, zitiert Zamira an einer Stelle Primo Levi, „und die Palästinenser sind die Juden Israels.“ Kann man sich da bequem in die Polster lehnen wie Moritz, der betont, dass sie ja deutsche Juden seien und mit der israelischen Politik gar nichts zu schaffen hätten? Und auf der anderen Seite: Kann Zafira angesichts islamistischen Terrors behaupten, als Muslima nichts mit dieser Gewalt zu tun zu haben? Den schenkelklopfenden Humor des Beginns bietet die Komödie plötzlich nicht mehr, und es ist einerseits Maacks zurückhaltender Regie zu verdanken, dass man diesen Umschwung gar nicht gemerkt hat, andererseits dem perfekt aufeinander eingespielten Ensemble.
Und dann schwingt das Pendel noch einmal um. Wie bei Tragikomödien mit Altersbezug üblich, klopft irgendwann der Tod an die Tür. Diesen Stimmungswechsel bekommt Maack nicht mehr so elegant hin, im letzten Drittel wird die originelle Geschichte plötzlich konventionell und vorhersehbar, und dass dann noch ein Happy End folgt, ist auch eher zusammengezimmert als folgerichtig. Aber sei es drum: Wenn es eine Regisseurin schafft, in rund eineinhalb Stunden Beziehungshumor und Politikdiskussion, Holocaust-Gedenken und derben Schwank unter einen Hut zu bringen, dann sieht man ihr auch nach, wenn es sie auf den letzten Metern aus der Kurve trägt. Nach Punkten hat die Inszenierung bis dahin nämlich längst gewonnen.
„Herr Klee und Herr Feld“ läuft wieder vom 19.5. bis 19.6. Mittwoch bis Sonnabend, 19.30 Uhr, Sonntag, 18 Uhr, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9-11, Karten unter T. 4133440, www.hamburger-kammerspiele.de