Hamburg. Das Gastspiel des Wiener Burgtheaters sorgt beim Hamburger Theaterfestival für eine Sternstunde – mit gnadenlosen Schauspielern.
Zwei Dutzend nackte Männerhintern. Ein akustischer Hieb – und der abgeschlagene Kopf der Maria Stuart schwingt über den Leibern. Was für ein Bild zum Auftakt. Man wird sich einige Szenen später an dieses grausige Pendeln erinnern, wenn sich Maria und Elisabeth zum Königinnen-Gipfeltreffen begegnen, wenn die Bühne erstmals leer ist, und nur eine einsame Glühbirne über ihren Häuptern schwingt.
Mal der einen, mal der anderen das Licht schenkend. Wie es ausgeht, hat man da ja längst gesehen. Erstaunlich ist eher, wie sehr man dennoch mitfiebert, wenn Maria ihrer Kontrahentin jene Worte ins Gesicht schleudert, die sie endgültig den Kopf kosten: „Regierte Recht, so läget ihr vor mir im Staube jetzt – denn ich bin euer König!“
"Maria Stuart" auf Kampnagel: Heftiger Jubel bei Premiere
Was Martin Kušej, Intendant des Wiener Burgtheaters, und sein phänomenales Ensemble mit Friedrich Schillers „Maria Stuart“ anstellen, ist eine absolute Sternstunde des Schauspielertheaters. Im vergangenen Sommer erst hatte die Produktion bei den Salzburger Festspielen Premiere, beim Hamburger Theaterfestival gastiert sie nun mit zwei Vorstellungen auf Kampnagel, die Premiere wurde am Sonnabend zu Recht heftig bejubelt. So atemlos schaut man diesen bild- und wortmächtigen Abend, als sähe man das ganze Stück zum allerersten Mal.
In schwarzen Sneakern, schlaff hängenden Locken, Jogginghose und fest abgebundenen Brüsten steht Birgit Minichmayr in der Titelrolle vor ihrem Kerkermeister. Jegliche Erniedrigung zeigt keine Wirkung: Noch mit auf dem Rücken gefesselten Händen strahlt diese Frau eine solche Stärke aus, speit sie ihre Wut mit einer solchen Wucht und gestalterischen Intelligenz über die Rampe, dass man die Furcht der Gegenspielerin auf Anhieb begreift.
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Grandioses Gastspiel von "Maria Stuart" in Hamburg
Auch Elisabeth, die Bibiana Beglau bis in die letzte Sehne und den letzten Muskel gnadenlos verkörpert, hat sich die Brüste abgebunden: „Ich will in meinem Beisein nichts von der Schwäche des Geschlechtes hören.“ Offensichtlich bleibt die bedrohliche maskuline Übermacht dennoch. Beide Frauen mögen Königinnen sein, ihr Staatsapparat ist durch und durch männlich.
Nicht nur die engsten Berater (glänzend: Norman Hacker als verschlagener Burleigh, der Israeli Itay Tiran und Franz Pätzold als die der Stuart verfallenen Leicester und Mortimer), sondern das gesamte Umfeld. Kušej und seine Bühnenbildnerin Annette Murschetz stellen die Frauen in eine lebendige Installation, eine Masse Mann aus zumeist nackten Komparsen, denen in ihrer Breitbeinigkeit dennoch jegliche Schutzlosigkeit abgeht. Ein präziser, brutaler, beklemmend faszinierender Blick auf Schillers großes Trauerspiel. Wer keines der Hamburger Gastspiele besuchen kann (am heutigen Sonntagabend gibt es eine letzte Chance auf wenige Restkarten), sollte auf eine Fahrkarte nach Wien sparen.