Hamburg. Das historisch-musikalische Schauspiel „Umschlagplatz der Träume“ von Erik Schäffler ist opulent, hat aber dramaturgische Schwächen.

Dieses Wochenende ist in Hamburg Hafen-Geburtstag. Pandemiebedingt ist das große Hafenfest zum 833. zwischen Altem Elbtunnel und noch immer recht neuer Elbphilharmonie in den September verschoben worden. An der Mundsburg, an der das Ernst Deutsch Theater 2021/22 seine 70. Spielzeit erlebt, wird dem Hafen nun ein neues Geschenk bereitet - mit der Uraufführung vom „Umschlagplatz der Träume“.

Theaterkritik: Uraufführung zum Hafen-Geburtstag im Ernst Deutsch Theater

Rund 150 Jahre Hafen-Geschichte vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart umreißt Autor und Regisseur Erik Schäffler mit seinem theatralisch-musikalischem Schauspiel. Eine gewaltige Zeitspanne (und Herausforderung) mit vielen gesellschaftlichen Entwicklungen, politischen Umbrüchen, wirtschaftlichen Auf- und Abstiegen. Denn lange bevor der hiesige Hafen zur touristischen Attraktion wurde, war er nicht nur Arbeitsraum, sondern auch Lebensraum für Menschen unterschiedlicher Herkunft und sozialer Stellung - mitsamt ihrer Verdrängung.

Schäffler verankert das große Ganze in Marcel Weinands (Bühne und Kostüme) prächtiger und detailgenauer Kulisse zwischen blauen Containern an den Rändern in der zentralen fiktiven Figur Charlotte Tiedenbreuk. Einer Kapitänstochter, die zur mächtigen Reedersfrau aufsteigt, dabei aber manche ihrer Grundsätze über Bord werfen muss. Mignon Remé spielt sie vielschichtig als gewissermaßen unsterbliche, starke emanzipatorische Persönlichkeit. Sich an den Rollator klammernd, geht sie am Anfang und ganz am Schluss auf den 833. Hafengeburtstag ein. Dazwischen liegt die Lebens- und Liebesgeschichte einer Frau, die sich in de maritimen Männerdomäne durchzusetzen weiß.

„Umschlagplatz der Träume“ im Ernst Deutsch Theater

Meist an ihrer Seite Sven Walser als umherwuselnder Klabautermann und Schutzgeist, der wie Remé immer wieder in die Rolle des Erzählers fällt. Die Schauspielerin wird von der elfjährigen „Charlie“, die sich als Mädchen unstandesgemäß in den Ketelklopper (Kesselklopfer) Klaas alias Rune Jürgensen verliebt, bis hin zur Großmutter jedem Alter gerecht.

Lustig wird’s, wenn der junge Mann aus dem Gängeviertel zum Essen bei der Reedersfamilie an der feinen Elbchaussee speist und dabei alles aus dem Ruder läuft. Dass Klaas raus aus der „Schiet-Gäng“ will und den angeseheneren Beruf des Segelmachers erlernen möchte, hilft ihn hier auch nichts.

Frank Jordan kann als sich bei Tisch echauffierender „Charlies“ Onkel ebenso komödiantisch glänzen wie im weiteren Verlauf als Charlottes Ehemann Maximilian mit bayerischem Idiom. Wunderbar hanseatisch herablassend bis schnippisch gibt Angelina Kamp die Mutter Charlottes. erst streng, dann gut und gütig Oliver Hermann ihren Vater. Als maritimer Romantiker stemmt er sich gegen die Verdrängung der Segel- durch die Dampf-Schifffahrt und schwärmt von den Fünfmastbarken der Reedereri Laeisz, deren Flying-P-Liner-Namen bekanntlich alle mit dem Buchstaben „P“ anfingen.

Erster Teil mit überlangen 80 Minuten ufert aus

Wie die meisten anderen Beteiligten übernimmt auch Herrmann als „Salpeterkönig“ und Max Warburg mehrere Rollen, getoppt noch von Markus Voigt, der gleich neun verschiedenen Figuren gekonnt Konturen verleiht - vom Quartiersmann über einen Commis bis zum Posaunisten. Der Musikalische Leiter Voigt hat neun Lieder komponiert, welche die jeweiligen Epochen kennzeichnen, etwa die 1920er-Jahre mit „Stückgut heißt die neue Zeit…“ oder „Der Hafen gibt, der Hafen nimmt“ als Übergang vom Zweiten Weltkrieg zur Wirtschaftswunder-Zeit der 50er. Das neunköpfige Ensemble intoniert die Songs oft gemeinsam.

Trotz des großen Aufwands und der vielen eingeblendeten historischen Schwarz-Weiß-Bilder im Bühnenhintergrund ufert der erste Teil mit überlangen 80 Minuten leider aus. Bei manchen der sprunghaften Szenen hätten Regie und Dramaturgie ansetzen müssen. Und als vor der Pause noch der Kieler Matrosenaufstand von 1918 thematisiert wird, wähnt man sich als Zuschauer beim freien Axensprung Theater, mit dem Schäffler und ein Teil der Darstellerriege politisch-zeitgeschichtliche Themen längst auf andere Bühnen gebracht hat.

Zugute gehalten sei dem Stücke-Macher, dass er bei der Reise durch die Jahrzehnte Verbindungen zwischen Hafen, Stadtgeschichte und bis heute sichtbaren Spuren in Hamburg geschaffen hat. Auch weniger ruhmreiche hanseatische Kapitel wie die Kolonialisierung, an der viele Hamburger Kaufleute beteiligt waren, die Nazi-Diktatur und ihre Auswirkungen auf den Hafen sowie die Frage nach dem Zusammenspiel von Ökologie und Ökonomie spart Schäffler nicht aus.

„Eine glückliche Stadt, die einen Hafen hat"

„Eine glückliche Stadt, die einen Hafen hat“, lautet der Refrain in Voigts eingängigem Titellied. Der „Umschlagplatz der Träume“ wird im Herbst auch im Galionsfigurensaal des Altonaer Museums spielen und soll im nächsten Mai erneut im Ernst Deutsch Theater zu sehen sein. Ebenso an den anderen Stätten und womöglich sogar im Hafen selbst.

Das deutete Kultursenator Carsten Brosda in seinem Grußwort an und brachte das Deutsche Hafenmuseum ins Spiel, womöglich sogar auf der „Peking“. Träumen darf man ja. Fakt ist - auch dafür dankte Brosda - , dass diese Großproduktion des Ernst Deutsch Theaters mit Axensprung ohne den Unternehmer Markus Linzmair (Firma IPT) und die Bank Julius Bär AG nicht zustande gekommen wäre. Ein neues Stück Hamburg.

„Umschlagplatz der Träume“ Sa 7./So 8.5. und 30.5.-4.6., jew. 19.30, Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedr.-Schütter-Platz 1, Karten : 22,- (erm. 9,-) bis 44,-: T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de