Hamburg. Die Academy of Saint Martin in the Fields enttäuschte im Großen Saal der Elbphilharmonie. Auch Solistin Julia Fischer überzeugte nicht.
Dunkel raunen die Streicher, während die Kamera durch das nächtliche Wien fährt: So beginnt Miloš Formans berühmtes Kino-Epos „Amadeus“, und den Soundtrack dazu, den Anfang von Mozarts d-Moll-Klavierkonzert, lieferte die Academy of Saint Martin in the Fields. Kaum ein Kammerorchester war damals medial so präsent wie die Londoner mit der Klarheit und Tonschönheit ihrer Interpretationen.
Ach, damals. Lange her, arg lange. „Amadeus“ wird bald 40, das Orchester gar 65 Jahre alt. Von der einstigen unangestrengten Eleganz der Academy ist im Frühjahr 2022 in der Elbphilharmonie wenig zu merken. Was gar nicht notwendigerweise am Orchester selbst liegen müsste, die musikalische Welt hat sich einfach weitergedreht. Der triumphale Einzug der historischen Aufführungspraxis in die bürgerlichen Konzertsäle hat die Hörerwartungen verändert – auch an Ensembles, die weiterhin auf sogenannten modernen Instrumenten spielen. Die geben sich die Klinke zum Großen Saal förmlich in die Hand, auch bei ProArte sind ihr atemberaubend hohes Niveau, ihre Risikobereitschaft und Unbedingtheit des Ausdrucks oft zu erleben.
Elbphilharmonie: Statt Wagnis ein braver und nicht besonders schöner Mozart
Die Academy hat diesen Aufbruch offenbar verpasst. Von der Exposition zu Mozarts Violinkonzert D-Dur KV 218 bleiben jedenfalls keine Widerhaken in Erinnerung, keine lustvollen Schreckmomente, nichts, das einen im Innern berühren würde. Stattdessen erklingt ein braver und nicht besonders klangschöner und auch nicht äußerst präziser Orchestermozart. Die Akustik, die gemeine, nimmt den Beteiligten die uneinheitliche Bogeneinteilung und Dauervibrato (das ist sooo 80er!) eben übel und die leichten intonatorischen Abweichungen innerhalb der ersten Geigengruppe sowieso.
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Die Solistin Julia Fischer ist über solche Niggeligkeiten natürlich erhaben. Bei ihr brennt nichts an, alles ist makellos abgezirkelt wie stets. Wo Mozart D-Dur draufsteht, da ist bei Fischer auch Mozart D-Dur drin, mit allen Staccato-Läufen und Trillern. Und da sie dem Orchester an diesem Abend auch als Leiterin vorsteht, hat sie guten Kontakt mit den Stimmgruppen.
Julia Fischer spielt überirdisch perfekt – aber ohne jeden Funken Drama
Und sonst? Geht Fischers überirdisch perfektes Spiel bei aller Bewunderung leider so gar nicht zu Herzen. Auch hier: kein Wagnis, keine jähen Szenenwechsel, kein Funken Drama.
Bei der fis-Moll-Sinfonie von Haydn mit Fischer am Konzertmeisterpult britzelt es dann etwas mehr, und dass die Musiker getreu dem Namen „Abschiedssinfonie“ im letzten Satz nach und nach von der Bühne gehen, sorgt plangemäß für Erheiterung. Romantisches wie Tschaikowskys drei Miniaturen „Souvenir d’un lieu cher“ und die Streicherserenade von Josef Suk kommt Fischer und den Ihren gestalterisch mehr entgegen. Fischers Geigenklang ist süffig, und die Serenade erzählt in ihrer Vielgestaltigkeit von sich aus genug. Auch wenn die Interpretation nicht gerade birst vor Originalität, kann man das gut anhören.
Und geht doch mit dem Gefühl nach Hause, etwas Wesentliches verpasst zu haben.