Hamburg. Die dänische Verwandlungskünstlerin legt ihren neuen Roman „Lamento“ vor. Das Sprachkunstwerk präsentiert Nielsen im Literaturhaus.
Es ist die Scham, die dieses Buch durchzieht. Die Scham, es nicht geschafft zu haben: die Liebe am Leben zu halten, eine Familie zu sein. Nicht zueinander zu passen am Ende, vor einem Graben zu stehen, der die Egos voneinander trennt.
Dabei ist es eine flammende Liebe, die in dem Roman „Lamento“ erst einmal seitenlang lodert, ehe sie sich selbst verzehrt. Zwei Künstler lernen sich kennen, sie sind wie magisch angezogen vom anderen. Sie ist beinah verletzt, als er nach einer wochenlangen Existenz ausschließlich auf dem Laken, jedenfalls in unmittelbarer Nähe zueinander, mal für drei Stunden das Haus verlässt. Dieser Liebe ist total. Zunächst.
Literatur: Nielsens neue Lebensgeschichte
Dann ist das Kind da, und das Wir wird übermächtig. Das alles verschlingende Wir ist etwas anderes als die alles verschlingende Leidenschaft, mit der alles begann. Er, der Theatermann, nimmt nun jede Möglichkeit wahr, die sich ergibt, ergreift jede Chance, vor die Tür zu gehen. Er schwimmt sich frei, indem er sich in die Kultursuppe begibt. Was auf seine Weise romantisch ist, aber die Liebe killt. Am Ende wird aus ihr Hass.
Madame Nielsen, die Autorin dieses, in der Euphorie und der Tristesse, kaum zu Atem kommenden Romans, hat ihre Lebensgeschichte wie in den vorhergehenden Büchern „Der endlose Sommer“ und „Das Monster“ in den Erzählstoff gelegt. Die künstlerisch Vielseitige, die zuletzt mit dem Stück „Die Welterlöserin“ bei den Lessing-Tagen war, ist die große, radikale Identitätsspielerin der Gegenwartsliteratur.
2001 entstand das Pseudonym Madame Nielsen
Geboren wurde sie 1963 als Claus Beck-Nielsen in Aalborg. Zunächst trat dieser nur unter Pseudonymen in Erscheinung, 2001 dann der komplette Reboot: Beck-Nielsen war fortan Madame Nielsen. Nicht weil er/sie sich immer schon als Frau gesehen hatte, sondern weil der Eben-noch-Mann, dieser Satz kursiert erfolgreich und ist auch zu gut, festgestellt haben wollte, dass er mit Kleid einfach besser aussieht als der älter werdende, dünne Mann, der er ist.
In „Lamento“ geht es nicht um den Wandel zwischen den Geschlechtern, es geht um das Zerbrechen einer Einheit. Madame Nielsen erzählt von sich selbst, in der dritten Person: Sie ist er, der sich entziehende Mann, der in diesem Text in ein wenig schmeichelhaftes Licht gerückt wird. Die Ich-Erzählerin ist die Frau, der dieser Mann abhandenkommt. Im wirklichen Leben war Madame Nielsen mit der Schriftstellerin Christina Hesselholdt („Vivian“) verheiratet.
Literatur: Nielsen schafft Sprachkunstwerk
Deren Romanstimme, intoniert vom Ex-Mann in Frauengestalt, adressiert auch das Kind, das der einstigen Beziehung entsprang: „Wenn das Licht anbricht, ziehen sich die Nacht, die Trauer, die ganze Geschichte und alles Entsetzliche, das wir getan haben, in dir zusammen.“
„Lamento“ ist ein Sprachkunstwerk, ein Text, in dem die Sätze pulsieren, gerade wenn sie, im Blick zurück, die Phase des Außersichseins, des Lebendigseins in der partnerschaftlichen Verschmelzung betreffen – „Diesen Augenblick erlebt haben zu dürfen, größer und schöner und alles umstürzender kann kein Traum von Liebe jemals gewesen sein, oder jenseits der Geschichte, in den Mythen, auch nicht Jasons und Medeas“.
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„Lamento“ ohne Happy End
Aber es ist alles verraucht am Ende, und das ist eine beschämende Bilanz. Madame Nielsen berichtet in einer Metapher vom Scheitern gleich zu Anfang davon. Da ist das tragische Paar in Paris, die Wohnung der Freundin, bei der sie logieren, brennt ab. Die Freundin will ihr Hab und Gut den Flammen entreißen. Das Paar hilft ihr nicht, mit schwersten Verbrennungen kommt die Frau ins Krankenhaus.
Wie Schmarotzer („Es ist unverzeihlich, aber wir taten es“) kommen die Gäste bei den Eltern der Frau unter. Dabei hat er, der mehr Künstler als Ehemann sein will, vor allem eines im Sinn gehabt: sein Manuskript vor dem Verbrennen zu retten. Das Paar, das später in Rauch aufgehen wird, kreist nur um sich selbst, und der Mann eigentlich schon nur um sich.
Rekapitulation der letzten Jahre
Jahre später erinnert sich die Erzählerin daran, sie klingt nicht bitter, sie rekapituliert. Es sind die schwarzen Flecken auf der weißen Liebesweste, die sich mehren. Einmal etwa, bei einer Afrikareise, offenbart sich die Aggressivität des Mannes. Die negativen Seiten zeigen Verliebte erst dann, wenn das Verliebtsein zunächst kaum spürbar nachlässt.
Madame Nielsen stellt ihren Roman am 4. Mai im Literaturhaus vor. Beginn 19.30 Uhr