Hamburg. … dann werden sie zu „geflügelten Worten“. Einige verlassen das Studierzimmer und fliegen zum Sprachschatz des Alltags.

Ein Sprichwort ist ein kurzer, volkstümlicher Satz, der eine praktische Lebensweisheit enthält – etwa „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“: Wer sich zu früh freut, kann immer noch eine böse Überraschung erleben. Unter einer Redensart verstehen wir eine immer wieder gebrauchte, formelhafte Verbindung von Wörtern, die sich wie ein Joker in verschiedene Sätze einbauen lassen.

Der Autor schreibt hier an jedem Dienstag über die Tücken der deutschen Sprache.
Der Autor schreibt hier an jedem Dienstag über die Tücken der deutschen Sprache. © Klaus Bodig | HA

Wer meint, dass „Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen“, der glaubt an etwas Unmögliches. Wenn sich Demonstranten einen Bären haben aufbinden lassen, so trugen sie natürlich kein Tier auf dem Rücken, sondern die Redensart besagt, dass Teilnehmer und Mitläufer dazu gebracht worden sind, etwas Unwahres anzunehmen.

Deutschstunde: Unterschied zwischen Redensart und Zitat

Ein Zitat hingegen ist eine wörtlich zitierte Textstelle oder die exakte Wiedergabe einer aktuellen Rede oder eines historischen Ausspruchs. Eine schier unerschöpfliche Quelle des Zitatenschatzes ist die Bibel. Aus dem 9. Kapitel der Apostelgeschichte lassen sich zwei bekannte Zitate ziehen, die zu Redensarten geworden sind. Saulus, ein schlimmer Christenverfolger, traf vor den Toren von Damaskus auf Jesus, der ihn bekehrte und zu seinem Apostel Paulus machte. Er war „vom Saulus zum Paulus“ geworden und hatte „sein Damaskus“ erlebt – er hatte sein Leben geändert.

Die Redensart „Ich kenne meine Pappenheimer“ gibt ein Zitat aus dem Drama „Wallensteins Tod“ von Friedrich Schiller wieder, das im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) spielt. Der vorher erfolgreiche katholische Feldherr Al­brecht­ von Wallenstein, Herzog von Friedland, war beim Kaiser in Ungnade gefallen und von seinen Regimentern verlassen worden. Nur das Kürassier­regiment des Grafen zu Pappenheim blieb bei ihm und fragte nach. Darauf sagte Wallenstein: „Daran erkenne ich meine Pappenheimer.“ Wallenstein wurd­e am 25. Februar 1634 in Eger (Tschechien) ermordet.

Vom Zitat zum „geflügelten Wort“

Wie viele Zitate aus Literatur und Schauspiel ist diese Zeile zum geflügelten Wort, zu einer von der Quelle und dem Kontext losgelösten Redensart geworden. Sie bedeutet nun zu wissen, woran man mit bestimmten Leuten ist, um ihre Eigenheiten und ihre Schwächen erkennen und zuordnen zu können. Das Zitat hat also Flügel bekommen, ist von der Bühne oder aus dem Textbuch davongeflogen und zum „geflügelten Wort“ in der Alltagssprache mutiert. Diesen Ausdruck prägte der Berliner Oberlehrer August Georg Büchmann (1822 bis 1884) mit seinem Werk „Geflügelte Worte – der Citatenschatz des deutschen Volkes“, dessen erste Auflage im Jahre 1864 erschien und weite Verbreitung in Deutschland fand.

Nehmen wir einmal an, ein auslän­discher Freund hört im Gespräch etwas von des Pudels Kern, kann jedoch unter dem Tisch keinen Hund entdecken. Die Erklärung ist, dass diesmal Goethes „Faust“ zitiert worden ist. Dem Doktor Faust war vom Osterspaziergang her ein schwarzer Pudel ins Studierzimmer gefolgt, der sich in Mephisto, in den Teufel, verwandelte. Erstaunt rief Faust: „Das also war des Pudels Kern.“ Man verwendet das Zitat, um seiner Überraschung über etwas, das sich lange nicht durchschauen ließ, Ausdruck zu verleihen.

Anfangs kam es beim Zitieren auf die Wiedergabe des genauen Wortlautes an, und in der Literaturwissenschaft ist es noch heute so. Als sich die Verwendung jedoch auf das Bildungsbürgertum ausweitete, flatterten die Zitate aus dem Studierzimmer hinaus in die allgemeine Umgangssprache. Das führte dazu, dass die Zitate nicht immer in ihrem ursprünglichen Sinne gebraucht wurden.

Früher Homer, heute Umgangssprache

Sie hatten Flügel bekommen, waren also zu „geflügelten Worten“ geworden. Übrigens gebrauchte schon Homer in seinen Werken „Ilias“ und „Odyssee“ diesen Ausdruck mehr als hundertmal. Er bezeichnete damit Worte, die vom Mund des Redners zum Ohr des Angesprochenen „flogen“.

Es muss nicht immer Goethe (oder Schiller) sein. Kenner verwenden Tausende von Zitaten und Redewendungen oder werfen mit Sprichwörtern um sich, wobei nicht alle Zuhörer und Leser folgen können. Die Zahl der geflügelten Worte ist Legion. Dudens „Großes Buch der Zitate und Redewendungen“ enthält immerhin 15.000 Beispiele.

deutschstunde@t-online.de