Hamburg. Die Uraufführung der Musik-Komödie von Murat Yeginer reiht sich ein in die großen musikalischen Frühjahrs-Klassiker. Eine Kritik.

Wenn die Knospen sprießen und die Bäume blühen, fährt das Ohnsorg musiktechnisch groß auf. Zumindest alle paar Jahre ist es Zeit für musikalische Frühjahrsklassiker am Heidi-Kabel-Platz. „De lütte Horrorladen“, „Dat Narrenhuus“ („Ein Käfig voller Narren“) und „Hallo Dolly“ – jeweils plattdeutsche Erstaufführungen – waren Bühnen-Hits.

Als 2018 der vom New Yorker Broadway nach Hamburg verlegte Musical-Welterfolg „Hello Dolly“ am Ohnsorg in Frank Thannhäusers Inszenierung reüssierte, gab es „Bravo!“- und „Zugabe, Zugabe!-Rufe. Letzteres blieb damals das Einzige, was das Ensemble dem Publikum nicht bieten konnte – mangels Live-Band.

Ohnsorg-Theater: gelungene Uraufführung

Dem konnte am späten Sonntagabend im Ohnsorg-Theater Abhilfe geschaffen werden. Nach Ende von „Dat Frollein Wunner“ gab die sechsköpfige Darstellerriege singend und tanzend zwei Extra-Einlagen, inklusive Louis Primas Swing-Klassiker „Sing, Sing, Sing, Sing“. Und die hervorragende Band um den musikalischen Leiter und Arrangeur Stefan Hiller (Klavier und Keyboard) bekam noch einmal den Raum, der ihr gebührte.

Caroline Kiesewetter als „Käthe von Halstenbek“ und Tanja Bahmani als Hilde Mücke.
Caroline Kiesewetter als „Käthe von Halstenbek“ und Tanja Bahmani als Hilde Mücke. © Oliver Fantitsch | Oliver Fantitsch

Das nennt man wohl eine gelungene, wenn auch offiziell aus Sicherheitsgründen nicht groß gefeierte Uraufführung – schließlich ging diese aus Krankheitsgründen mit einer Woche Verspätung über die wieder mal von Katrin Reimers stilecht gestaltete Bühne. Beifall dafür schon zu Beginn in der erstmals nach mehr als zwei Pandemie-Jahren voll besetzten Kapelle fürs großstädtische Volkstheater.

Yeginers zehnte Ohnsorg-Inszenierung

Oberspielleiter und Stückautor Murat Yeginer hat in seiner zehnten Ohnsorg-Inszenierung groß auffahren lassen und mit „Dat Frollein Wunner“ eine musikalische Komödie mit viel Plattdeutsch (von Kerstin Stölting) und Lokalkolorit geschaffen. Das geht schon beim Vorsingen los, zu dem Käthe – Künstlername „Käthe von Halstenbek“ – antanzt. Rosa Wagner, eine junge Aushilfslehrerin für Deutsch, hat in einen kargen Klassenraum gebeten, in dem zwar ein Klavier steht, die Decke jedoch Risse zeigt.

Wir sind im Hamburg der späten 1940er-Jahre, die Stadt ist noch von den Briten besetzt. Rosa möchte der Enge und der Verzweiflung der Kriegsjahre entfliehen und ein Damen-Trio gründen, um an einem Festival des Anglo German Swing Club teilzunehmen. Für die Gewinner-Gruppe lockt ein Auftritt im Buckingham Palace vor der britischen Queen.

Pianistin Rosa hat „nich genuch Knööf“

Logisch, dass da auch die Dritte im Bunde, Hilde Mücke, eine norddeutsche Milch-Bäuerin, schon mit Sorge daran denkt, ob sie wohl etwas Passendes anzuziehen habe. Doch da Käthe sich als eine Schneiderin mit Opern-Ausbildung entpuppt und nicht auf Schuberts „Die Forelle“ festgelegt ist, Hilde zudem ihr Jodeltalent (!) der Swing-Musik unterordnet, nehmen die Proben ihren Lauf.

Bis die beiden feststellen, dass Pianistin Rosa „nich genuch Knööf“ in der Stimme hat. Doch Ersatz naht: Um dennoch den Traum von einem besseren Leben zu träumen, überreden sie den mit einer weiblich anmutenden Männerstimme gesegneten englischen Priester William Abernathy, in Frauenkleider zu schlüpfen und mitzumachen. „Charleys Tante“, „Manche mögen’s heiß“ und (optisch) Marlene Jaschke lassen schön grüßen.

Ohnsorg-Debüt von Yeginer junior

Wie der von Cem Lukas Yeginer verkörperte Geistliche William von den drei Mitstreiterinnen auf der Bühne kurzerhand mit gerafftem Talar, rotem Topfhut, Rouge auf den Wangen, Brille und rot geschminkten Mund in „Wally“ verwandelt wird, ist nur einer der komödiantischen Höhepunkte – „Dat Frollein Wunner“ eben.

Murat Yeginer hat seinem Sohn die Rolle des Priesters auf den Leib geschrieben wie den virtuos singenden Schauspielerinnen ihre Figuren. Yeginer junior gelingt bei seinem Ohnsorg-Debüt der Spagat zwischen feinfühligem Priester und derbem Mann-Weib, und er trifft mit seiner hohen Stimmlage fast immer den richtigen Ton.

Kiesewetter, Bahmani und Larsen in Topform

Mit seinen Partnerinnen gelingt auch der mehrstimmige Gesang. Dass Caroline Kiesewetter dank ihres Timbres eine exzellentem Jazz-Interpretin ist, hat sie am Ohnsorg schon mehrmals gezeigt. In ihrer Rolle als Käthe wandelt sie als Möchtegern-Dame aus der Vorstadt, die es ihrem bei Muttern in Eidelstedt schmollenden und kränkelnden Ehemann Karl (diesmal recht blass: Til Huster) beweist und zur Swing-Lady avanciert.

Auch Tanja Bahmani ist als Wuchtbrumme im Ohnsorg (u.a. in „Hallo Dolly“) längst ein komischer Stammgast, zeigt diesmal aber auch große musikalische Bandbreite. Und Nele Larsen erweist sich als Damen-Combo-Initiatorin Rosa erst als burschikose und emanzipatorische Deern, die im Verlauf dann jedoch mit Swing- und Soulstimme überzeugt. Eine echte Neuentdeckung für das Große Haus, das im zweiten Teil zum Ballroom wird.

Manko nur: Da folgt nicht mehr viel an Handlung, außer dass sich Paare finden und wiederfinden. Das Show- und Konzerterlebnis überwiegt. Markus Gillich blüht in seiner Rolle als englischer Offizier McGintley noch mal richtig musikalisch auf. Tempo, Tanz und Timing, sie überzeugen in „Dat Frollein Wunner“, das auch einige besinnliche Momente hat.

„Unsere Stadt hat ein neues musikalisches Aushängeschild“, sagte Intendant Michael Lang nach den Zugaben auf der Bühne. Es wird den Spielplan nach dem Sommer auch im Oktober wieder zieren. Und damit länger als die früheren musikalischen Klassiker.

Dat Frollein Wunner“ wieder Di 17.5., 20.00, bis 11.6., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Karten zu 28,- bis 36,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de