Hamburg. Wer noch nichts über Alma Mahler wusste, wird sie nach dem Konzert der Rotterdamer Philharmoniker nie wieder vergessen.

Anders als der Kollege Robert Schumann, der Clara als gleichberechtigte Tonsetzerin sah, hatte Gustav Mahler mit den kompositorischen Tätigkeiten seiner Frau dauerhaft nur sehr wenig am Hut. Alma, mehr als nur durchaus begabt und immerhin eine Schülerin von Alexander Zemlinsky, schrieb einiges und das leidenschaftlich, doch nichts davon stieß auf mehr als kurzes, registrierendes Interesse.

Der Gatte hatte genug mit der eigenen Karriere zu tun und gab ihr früh schriftlich, sie möge doch bitte „meine Musik als die Deine ansehen“.

Elbphilharmonie: Nézet-Séguin dirigiert Mahler und Mahler

Schön, wichtig und interessant also, dass Yannick Nézet-Séguin für das Elbphilharmonie-Gastspiel mit den Rotterdamer Philharmonikern das Ehepaar gemeinsam aufs Programm setzte: Vier der fünf von insgesamt 16 erhaltenen Liedern (alles andere ist verloren), großzügig orchestriert, als stimmiger Kontrast zur Vierten Sinfonie Gustavs, die ja ebenfalls mit einem Orchester-Lied endet, das zwischen Schein-Naivität und religiöser Inbrunst changiert.

Und sagen wir es mal so: Almas Teil des Abends – der aus aktuellem finsteren Anlass mit der Trauermusik „Prayer for Ukraine“ von Valentin Sylvestrov begann – war derjenige, der länger in Erinnerung bleiben wird. Was nicht nur am Seltenheitswert dieser Aufführung lag.

Die vier Kostproben ihres Könnens: sehr spätromantisch, mal schwermütig aufgeladen, mal naturidyllverliebt oder toll schmähschwülstig. Von der Mezzosopranistin Karen Cargill wurden sie mit großer Emphase vorgestellt und hatten diesen sanft schillernden Reiz, den Repertoire aus der Übergangsphase in die Moderne ausspielen kann, wenn es nicht mehr ganz das eine und noch nicht das andere ist.

Elbphilharmonie: Der Biss blieb auf der Strecke

Weder Fisch noch Fleisch war dann allerdings auch die Deutung der Vierten durch Nézet-Séguin: Er tendierte dazu, die Ecken und Kanten von Mahlers Weltdeutung allzu freundlich abzurunden; um des lieben Effekts willen, der die Könnerschaft der Rotterdamer bestens vorführte, dabei blieben Biss und Dringlichkeit auf der Strecke. Und auch Christiane Karg, Solistin im finalen „Wunderhorn“-Lied, hatte von ihrem erhöhten Platz neben der Harfe zu sehr Mühe, mit ihrem klaren, schlanken, aber eben nicht riesigen Sopran stimmlich über das Tutti hinwegzuleuchten.

Nächstes Nézet-Séguin-Konzert: 11. Mai: BR-Symphonieorchester, Beatrice Rana (Klavier): Werke von Abrahamsen, Clara Schumann und Brahms. Elbphiharmonie, Gr. Saal