Hamburg. Die Kammerakademie Potsdam spielte im Großen Saal Werke von Ernst Eichner und Étienne-Nicolas Méhul. Die Zugabe erschütterte.

Die Holzbläser schichten leise Liegetöne zu Dissonanzen übereinander und lösen sie wieder auf, darunter murmeln Synkopen der Streicher. So ein Wechsel zwischen Spannung und Entspannung über einem leicht beunruhigenden Puls geht direkt ins Herz wie eine seit Vorzeiten vertraute Sprache.

Die Passage stammt aus der Sinfonie op. 11 Nr. 4 von Ernst Eichner. Ernst wer? Nie gehört. Aber das ist ja das Wunderbare an der Musikgeschichte, dass sie immer noch mehr Schätze preiszugeben hat. Eichner, er starb 1777 mit nur 37 Jahren, und auch sein um eine Generation jüngerer Kollege Étienne-Nicolas Méhul haben substanzreiche Sinfonien geschrieben. Die Kammerakademie Potsdam spielt diese Werke in der Elbphilharmonie so farbig und dramatisch, dass klar wird: Sie haben einen Platz im Konzertrepertoire verdient. Und ihre Schöpfer, dass man sich ihrer erinnert.

Kammerakademie Potsdam mit Star-Solisten in der Elbphilharmonie

Nebenbei sind die Musiker auf ein hübsches Programmmuster verfallen, das vom üblichen Klippklapp Ouvertüre-Solokonzert-Sinfonie erfrischend abweicht. Jede Konzerthälfte wird von einer Sinfonie eröffnet, dann folgt ein Werk mit Solist und dann eins mit zwei Solisten. Angereist sind sie nämlich mit dem Flötisten Emmanuel Pahud und dem Klarinettisten Andreas Ottensamer, beide sind Stars ihrer Zunft und Solobläser der Berliner Philharmoniker.

Ottensamer hat fünf der sehr zahlreichen „Lieder ohne Worte“ für Klavier von Mendelssohn für Klarinette und Streichorchester bearbeitet. Behutsam und kenntnisreich hat er die empfindliche Tonsprache und Klanglichkeit des Komponisten hinübergerettet. Genauso spielt er auch, oft innig hineingewoben in den Streichersatz, sehr kammermusikalisch. Fünf sehr unterschiedliche Charaktere entfalten sich in diesen Miniaturen, von elegisch bis frech und so diskret flexibel im Zeitmaß, wie Mendelssohn es braucht, um weder abgestanden noch pathetisch zu wirken.

Elbphilharmonie: Traurige Abschiedsmusik erschüttert

Mendelssohns Konzertstück in f-Moll hat Pahud für Flöte, Klarinette und Orchester eingerichtet. Da fragt man sich beim Hören, ob es nicht verlorene Liebesmüh war. Das Stück war eine Gelegenheitskomposition, es ist außer Terzenseligkeit und virtuosen Läufen wenig darin. Mendelssohn hat sie auch gar nicht veröffentlicht.

Nach der tiefschwarzen, beethovenartig aufgewühlten Méhul-Sinfonie spielt Pahud mit dem Orchester eine Bearbeitung von Poulencs Flötensonate. Das ist ein Fest der Klangfarben, voller süffiger Melodien und dann wieder voll Witz. Pahud spielt virtuos und mit einem recht hellen, direkten Ton.

Saint-Saëns hat seine Tarantelle op. 6 original für Flöte, Klarinette und Orchester geschrieben. Die Beteiligten bei diesem Tanz erzeugen eine ungeheure Spannung, indem sie Lautstärke und Tempo lange im Zaum halten und gegen Ende so richtig aufdrehen. Große Begeisterung im Publikum. Die Künstler bedanken sich mit einer Bearbeitung des Terzetts „Soave sia il vento“ aus Mozarts Oper „Così fan tutte“, einer federleichten und im Untergrund erschütternd traurigen Abschiedsmusik. Mehr muss man, mehr kann man nicht sagen als dieses kleine, weise Stück.