Hamburg. Der Geiger vergleicht Bruckner mit einer Sauna, redet viel und lacht noch lieber. Und seine erste Platte? Schwedischer ESC-Pop.
Auf die sympathisch beknackte Idee, die Wirkung der Rauchsauna – für viele Finnen vom Fach die einzig wahre „Urtext-Sauna“: kein Schornstein, der Rauch bleibt im Raum – mit den gaanz langsamen Crescendo-Steigerungen einer Bruckner-Sinfonie zu vergleichen, kann nur ein finnischer Musiker kommen.
Pekka Kuusisto ist, das wird schnell klar, ein sehr finnischer, aber wohl auch kein sehr typischer Finne: Der Geiger redet, gern, viele Sätze hintereinander sogar. Wenn es nicht nur um Musik geht, ist er unglaublich lustig. Aber auch, wenn es um Musik geht. Manchmal. Trotzdem ist es ihm auch immer sehr ernst damit. Und Fehler sind Teil dieses Jobs? „Ja! Oooh ja!“
Pekka Kuusistos erste Platte? Schwedischer ESC-Pop
„Wenn ich will, kann ich ein ernstes Gesicht machen“, sagt er, bei ernstem Repertoire käme diese Einstellung ohnehin von selbst, „dann denke ich noch nicht mal daran, lustig zu sein. Mir kommt es oft so vor, als ob ein großer Teil des Klassik-Publikums die Künstler für außergewöhnliche Wesen hält, und das hindert die Musik daran, ihre Botschaften zu übermitteln, weil sich alle nur fragen, wie es überhaupt angehen kann, dass derartig spezielle Menschen existierten.“ Wenn es gelänge, diese Blockade beispielsweise durch etwas Reden mit dem Publikum aufzulösen, dann sollte man das ruhig auch tun, findet er.
Der erste Song, den Kuusisto bewusst hörte, war kein hehres Schubert-Kunstlied, sondern „Rasputin“ von Boney M., seine erste selbstgekaufte Platte war nicht das hochwohlgeborene Beethoven-Violinkonzert, sondern „Diggy-Loo Diggi-Ley“ der Herreys. Drei Mormonen-Brüder, Schwedens Sieger-Titel beim Eurovision Song Contest 1984.
Kein Wunder, dass aus dem Jungen, der zum Studium in die USA ging, etwas Unordentliches wurde. Und in einer Disco-Band hat er zwischendurch auch gespielt. Kuusistos Vater wollte Seemann werden, wurde aber doch Musiker, komponierte und war Jazz-Fan. Improvisieren war also so ziemlich das Normalste der Welt für Klein-Pekka und den ebenfalls Geige spielenden Bruder Jaakko.
Pekka Kuusisto spielt ebenso gern Folk und Jazz wie Klassik
In seiner Branche, in der die meisten sehr konventionell wirken sollen und wohl auch wollen, ist Pekka Kuusisto der hemmungslos schillernde Gegenentwurf zum Opus-Fachidioten-Modell: Er spielt nicht nur alle gängigen Konzerte mit allen großen Orchestern in aller Welt (gerade hat ihn Esa-Pekka Salonen als einen Residenz-Künstler für seine erste Saison als Chefdirigent in San Francisco eingeladen), sondern ebenso gern Folk, Jazz oder verschroben Elektronisches dazwischen. „All das hilft mir, in der Klassik fokussiert zu bleiben.“
Legendär ist ein Video von den Londoner Proms 2016, als er die Royal Albert Hall in Ekstase alberte, sang und fiedelte. Kuusisto ist auch der mit dem „Red Dress“ – eine riesige Robe, 20 Meter Durchmesser, mit schlafsackigen Taschen für 238 Zuhörer. Kuusisto stand 2011, bei seinem Festival in Finnland, zum ersten Mal in diesem Kleid auf einem drehbaren Podest und spielte. Das Publikum lag in den Beuteln auf dem Boden, um ihn herum. „Das sollte die Distanz zwischen der Performance und dem Publikum verkleinern“, dafür sei es perfekt. Das von einer koreanischen Freundin entworfene Kleid ist mittlerweile in einem Design-Museum in Helsinki gelandet.
Eine Verkleidung als Nonne? "Damals schien das angemessen"
1995 war Kuusisto tatsächlich der erste Finne, der den berühmten Sibelius-Geigenwettbewerb im gemeinsamen Heimatland gewann. Ein großes Ding für das kleine Finnland war das, erinnert er sich. Der Wirtschaft ging es nicht gut, das Nationalgemüt blies mehr Trübsal als ohnehin schon gern. Aber in diesem Jahr gewann die Eishockey-Nationalmannschaft zum ersten Mal die WM, „auf die süßeste Weise überhaupt“: „Sie haben die Schweden geschlagen. In Stockholm. Jeder Finne, der damals am Leben war, wird das nie vergessen.“
Kuusistos Sibelius-Sieg später im Jahr bildete damit eine Art Schicksalsgemeinschaft. „Größtenteils als Witz, natürlich“, fügt er einordnend dazu. Im Anschluss daran habe er sich mit seinen Kumpels einiges an schrägem musikalischem Zeug gegönnt. Diesen TV-Auftritt beispielsweise, er war als Nonne verkleidet, als Ausgleich, weil seine Freunde als Superhelden kamen. Warum, um Himmels willen, als Nonne? „Damals schien das angemessen“, ist seine ziemlich trockene Antwort. Danach ging Kuusisto wieder zurück in die USA, weiterstudieren, Konzerte geben und nach und nach berühmter und vor allem spezieller werden.
Kuusisto spielt nicht nur – er lässt auch spielen, als Dirigent
Außergewöhnlich berührend müssen die Abende in der Londoner Wigmore Hall gewesen sein, bei denen Kuusisto musikalische Erlebnisse mit wissenschaftlichen Erkenntnissen kombinierte. Eine befreundete Krebs-Forscherin berichtete darüber, wie aus der einen Zellmutation zuviel der Beginn von Krebs werden kann, eine Fotografin hatte operativ entfernte Tumore im Bild festgehalten. „Das ist nichts, was man spontan für schön hält“, so Kuusisto, „so wurde für mich das Sterben zum Teil des Lebens. Das empfand ich als sehr gesundes Umdenken.“
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Er spielte zum Film einer Brustkrebs-OP die „Violin Phases“ von Steve Reich, ein Stück, das sich mit musikalischen Verwandlungen beschäftigt, außerdem Bachs Chaconne. In Amsterdam erklärte ein Neuropsychologe, was im Gehirn eines Musiker passiert, wenn er sich für ein Konzert einspielt. Und ebenso, was beim Hören von Musik in den Hirnen des Publikums passiert.
Kuusisto spielt nicht nur selbst, er lässt auch spielen, gerade ist er vom Helsinki Philharmonic zum Ersten Gastdirigenten und Teil des künstlerischen Leitungsteams berufen worden. Doch dass der eine oder andere Dirigent womöglich nicht goutiert, was Kuusisto als Solist tut oder lässt, lässt ihn relativ kalt: „Wer das wirklich nicht mag, kommt nicht mehr in die Verlegenheit, versehentlich mit mir ein Konzert geben zu müssen. Wer jetzt mit mir arbeitet, will das auch.“
Für welches Stück sich Pekka Kuusisto aufwärmen muss
Kuusistos Antwort auf die Frage nach dem liebsten Geräusch, abgesehen von Stille, ist dann wieder sehr finnisch: dieses wunderbare Knirschen, wenn man bei minus 25 Grad, kein Wind, klarer Himmel über Schnee stapft. Und was ist mit „Kalsarikännit“, Finnlands anderem Nationalsport neben Eishockey, das angeschickerte, tiefenentspannten Sitzen in Unterhose auf dem Sofa, allein mit sich und Alkohol? „Ist schon einige Zeit her“, antwortet er, „ich bin Vater einer wunderbaren Tochter. Und außerdem sehr daran interessiert, meine Ehe nicht aufs Spiel zu setzen.“
Dass Kuusisto ein Bühnentier ist, war früh klar. Er fühlt sich dort so wohl, dass er als 15-Jähriger im Finale vom Nielsen-Wettbewerb in Kopenhagen nach dem Pflicht-Nielsen noch ein bisschen Paganini gespielt hat, als Zugabe für die Jury und weil er schon mal da war. Geholfen hat es nicht: dritter Platz. Rausgehen und spielen, das geht fast immer. Beim Violinkonzert, dass Bryce Dessner, Gitarrist der Band The National, für ihn schrieb, genügt das allerdings nicht. „Das ist das einzige Stück, für das ich beim Aufwärmen Liegestütze mache. Schnelle 20 Stück. Das Stück ist wie ein Boxkampf.“
Pekka Kuusisto live in Hamburg: 9. Mai, 20 Uhr, mit dem Philharmonia Orchestra und Santtu-Matias Rouvali (Dirigent). Werke von Rossini, Bryce Dessner und Beethoven. www.elbphilharmonie.de