Hamburg. Andreas Dresens Drama „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ kommt in die Kinos. Das Thema scheint aktueller denn je.

Es ist ein klassischer Kampf David gegen Goliath. Wobei die Größenunterschiede sogar noch krasser ausfallen. Denn es ist hier eine einfache Bremer Hausfrau, die sich mit dem mächtigsten Mann der Welt anlegt: dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush.

Sie reagiert dabei oft etwas naiv, aber anrührend und herzensgut auf die komplizierten politischen und juristischen Sachverhalte, die im Grunde ihren Horizont übersteigen. Etwa wenn ihr gesagt wird, ihr Sohn wurde nach Guantánamo verbracht, und sie nur fragt: „Was ist das?“ Oder wenn ihr erklärt wird, sie habe gerade eine Klage gegen Bush unterzeichnet: „Was, ich?

Filmtipp: Premiere ist am Donnerstag

Das sind oft auch ganz komische Momente in Andreas Dresens Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Der Berliner Filmemacher weiß wie kein Zweiter, dramatischen Ernst mit unterhaltender Komik zu verbinden, selbst bei einem Stasispitzeldrama wie „Gundermann“ oder dem Protokoll eines Sterbens in „Halt auf freier Strecke“.

Anders wäre dieser Stoff aber auch kaum zu ertragen: Denn hier geht es um Guantánamo, wo nach den Anschlägen des 11. Septembers 779 Männer ohne jede Anklage über Jahre unter unmenschlichsten Bedingungen festgehalten und auch gefoltert wurden. Wie der vermeintliche „Bremer Taliban“ Murat Kurnaz, der erst 2006 freikam – nach 1786 Tagen.

Perspektivenwechsel zu Mutter des Opfers

Andreas Dresen hat den Fall Kurnaz schon in den Medien verfolgt. Hat auch das Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ gelesen, in dem Kurnaz 2007 sein Martyrium geschildert hat. Der Regisseur war geschockt, dass so etwas heute noch, in unserer Gesellschaft und in der sich so frei gerierenden westlichen Welt passieren kann, und wollte den Stoff unbedingt verfilmen.

Er wusste aber lange nicht, wie er das umsetzen könnte. Bis er dann seinen Schlüssel dazu fand: nicht die Geschichte von Murat Kurnaz selbst zu verfilmen, sondern die seiner Mutter Rabiye Kurnaz, die Jahre dafür gekämpft hat, ihren Sohn freizubekommen. Und dabei über sich selbst hinausgewachsen ist.

Comedienne Meltem Kaptan in der Hauptrolle

Als dieser Schlüssel erst mal gefunden war, gab es gleich zwei Lieben auf den ersten Blick, was man diesem Film auch in jeder Minute anmerkt. Erst verliebte sich die Drehbuchautorin Laila Stieler bei der Recherche in Rabiye Kurnaz und dann Dresen in seine Hauptdarstellerin Meltem Kaptan, die man bislang nur als Comedienne kannte.

Am Anfang versteht die von ihr verkörperte Rabiye die Welt nicht mehr, als ihr Sohn Murat kurz nach dem 11. September plötzlich verschwunden und nach Karatschi gereist ist. Versteht nicht, warum sie erst von den Medien erfährt, dass ihr Sohn gefangen genommen wurde. Aber der ersten Schockstarre folgt dann eine instinktive und fast übermenschliche Kraft, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihren Sohn frei zu bekommen. Dabei ist diese Rabiye Kurnaz manchmal durchaus eine Nervensäge. Aber mit ihrem Charme, ihrer familiären Art und ihrer Penetranz gelingt es ihr, den Anwalt Bernhard Docke für diesen Fall zu gewinnen.

Spektakuläres Kinodebüt für Kaptan

Der Film gehört dabei ganz seiner Hauptdarstellerin. Und Meltem Kaptan zeigt da ein unglaubliches Spektrum von Resignation über Verzweiflung bis zum Widerstand und glänzt dabei mit einer Souveränität, als habe sie nie etwas anderes getan, als Filme zu drehen. Es ist das spektakulärste Kinodebüt seit Jahren. Ein weiterer Trumpf ist Alexander Scheer.

Der spielte schon in Dresens und Stielers letztem Film den DDR-Liedermacher Gundermann, hier gibt er nun den kämpferischen, aber auch leicht spillerigen Anwalt Bernhard Docke. Im Abspann sind kurz die echte Rabiye Kurnaz und der echte Bernhard Docke zu sehen, und es ist verblüffend, wie ähnlich die Schauspieler ihnen sind. Auch in ihrer etwas wunderlichen Art, die nur ein bisschen überzeichnet ist, aber nie zur Karikatur verkommt, sondern immer eine liebevolle Hommage bleibt.

Film-Tipp: Drama mit Realitätsbezug

Ein erschreckend aktueller Film: Noch heute werden 39 Menschen in Guantánamo festgehalten. Und beschämend genug: Die deutschen Behörden haben nicht nur die Befreiung von Murat Kurnaz eher behindert als gefördert. Bis heute hat sich auch noch niemand bei dem um Jahre seines Lebens betrogenen Mann entschuldigt.

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ 118 Minuten, ab 6 Jahren, läuft ab 28.4. im Abaton, Elbe, Koralle, Zeise