Hamburg. Bernhard Docke schrieb einst Justizgeschichte. Im Abendblatt spricht der Jurist nun über einen spektakulären Fall, der verfilmt wurde.
Als der Bremer Murat Kurnaz in den USA verhaftet und nach Guantánamo verschleppt wurde, war seine Mutter verzweifelt. Hilfe fand sie beim Strafrechtler Bernhard Docke, der sich der Sache annahm. Andreas Dresens Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (ab 28.4. im Kino) ist ein Lehrstück in Sachen Zivilcourage und Durchhaltevermögen. An der Seite der famosen Meltem Kaptan, die die Mutter des Inhaftierten spielt, verkörpert Alexander Scheer den Bremer Juristen. Ein Gespräch mit dem Mann, der Justizgeschichte geschrieben hat.
Hamburger Abendblatt: Waren Sie damals gleich bereit, das Mandat zu übernehmen, als Frau Kurnaz Ihnen vom Fall ihres Sohnes erzählte?
Bernhard Docke: Ja, sofort. Sie kam Ende Mai 2002 zu mir und hat mir ihre Misere geschildert. Sie ist von Pontius zu Pilatus gelaufen, niemand hat ihr geholfen. Sie erwartete: Jetzt gehe ich zu einem Profi, der wird mir ja wohl in drei Wochen meinen Sohn wiederbringen. Das große Problem war, der Mutter klarzumachen, dass wir die schwierigst mögliche Ausgangssituation hatten. Wir hatten den mächtigsten Mann der Welt gegen uns, der einen rechtsfreien Raum geschaffen hatte, in dem es ganz schwierig war, überhaupt einen Anknüpfungspunkt zu finden, um arbeiten zu können. Wir hatten keinen Kontakt zu dem Gefangenen, hatten keine Ahnung, was ihm überhaupt vorgeworfen wird. Es gab keine Institution, die als Ansprechpartner hätte dienen können, keine Akte, gar nichts. Um das aufzubrechen, braucht man Geduld. Die einen Rechtsweg eröffnende Entscheidung des Supreme Court erging erst im Juni 2004, die Freilassung erfolgte im August 2006. Das ist elendig lange, wenn man sich überlegt, was für einen Leidensweg in dieser Zeit die Mutter durchläuft.
Der Sohn aber auch.
Natürlich. Zum damaligen Zeitpunkt wussten wir aber noch überhaupt noch nicht, was genau in Guantánamo läuft. Es gab noch keine Berichte aus dem Inneren des Lagers. Man konnte sich nur denken, wenn die Amerikaner einen rechtsfreien Raum schaffen, zu dem US-Richter keinen Zugang haben sollen und in dem es keine Anwälte gibt, was werden die da wohl betreiben? Das ist eine Reise ins Dunkle. Man konnte nur ahnen, dass da gefoltert wurde.
Im Film werden Sie von Alexander Scheer gespielt. Wie gut hat er Sie getroffen?
Er hat sich intensiv mit meiner Person befasst und versucht, sie zu kapern. Auf Schritt und Tritt ist er mir eine Zeit lang gefolgt, kam mit zu Strafprozessen. Dann wollte er unbedingt meine Brille haben, um besser zu verstehen, wie ich damals die Welt gesehen habe. Sie hatte 4,5 Dioptrien. Die Gläser hat er dringelassen, hat sich aber Kontaktlinsen mit dem komplementären Wert eingesetzt, um wieder den Durchblick zu haben.
Sind die Person, die Scheer spielt, und Sie deckungsgleich?
Da gibt es einen Unterschied, der unter anderem dramaturgische Gründe hat. Andreas Dresen wollte durch die Verschiedenheit von Mutter und Anwalt ein bisschen mehr Reibungshitze erzeugen und hat mich deshalb etwas zurückhaltender, besonnener, vielleicht sogar steifer gemacht als ich mich selbst sehe. Ich komme aber damit klar, denn ich empfinde Scheer als sehr sympathischen Typen.
Und wie gefällt Ihnen Meltem Kaptan als Rabiye?
Das ist eins zu eins. Es ist toll, wie sie das geschafft hat. Der Tonfall, die Diktion sind ja nur sehr schwer nachzumachen. Meltem hat Rabiye als „Stehaufweibchen“ beschrieben. Das kann ich nur bestätigen. Sie wusste ja nie, ob ihr Sohn überhaupt wiederkommt. Das hat sie nur ertragen, weil sie gleichzeitig noch für zwei andere Kinder sorgen musste. Als Murat wieder da war und sich die Situation entspannte, ist sie prompt krank geworden. Zum Glück ist sie wieder genesen.
Hat Sie in der langen Zeit, in der Sie sich mit dem Fall beschäftigt haben, mal irgendwann der Mut verlassen?
Nein, aber es war ein offenes Rennen. Außerdem wusste man ja nicht, wie die Medien, die Öffentlichkeit und die anderen Mandanten unseres Büros darauf reagieren würden, dass ich jemanden verteidige, dem Terrorismus vorgeworfen wird. Mein Senior-Kollege Heinrich Hannover hat unter anderem Ulrike Meinhof verteidigt. Viele der Verteidiger von RAF-Mitgliedern sind damals in den Medien mit den Taten ihrer Mandanten identifiziert und zu Unpersonen erklärt worden. Bürgerliche Mandate sind damals nicht mehr zu diesen Kanzleien gekommen. Dieses Risiko trägt man, aber man ist als Anwalt ja auch gleichzeitig Unternehmer. Das Kurnaz-Mandat war für mich zwar unkalkulierbar, aber ich habe nie gezögert, es anzunehmen. Die Provokation, dass der amerikanische Präsident sich im 21. Jahrhundert selbstherrlich herausnimmt, den Stecker des Rechtsstaats zu ziehen, Leute zu foltern und in ein rechtliches Vakuum zu packen, war für mich so heftig, dass ich gesagt habe: Da musst du helfen, da kannst du jetzt nicht kneifen.
War das aus heutiger Sicht Ihr schwerstes Mandat?
Auf jeden Fall! Wir hatten keine Hilfestellung, von niemandem. Ich habe mich an die türkische und die deutsche Regierung gewandt. Von der Türkei kam mehr oder weniger gar nichts. Von deutscher Seite hieß es: Wir können leider nicht helfen, weil die Amerikaner uns den Fall aufgrund Kurnaz’ türkischer Staatsangehörigkeit nicht verhandeln lassen. Was eine Lüge war, weil Deutschland mit den USA in dieser Sache von Anfang an zusammengearbeitet hat. Die Deutschen haben den BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz dorthin geschickt, um Kurnaz im September 2002 zu vernehmen. Bei der Gelegenheit sind sie zu der Erkenntnis gelangt, dass Kurnaz unschuldig, unreif und naiv war. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Amerikaner wollten Kurnaz im Herbst 2002 nach Deutschland transferieren. Daraufhin haben sich die Spitzen der Sicherheitsdienste unter der Leitung unseres derzeitigen Bundespräsidenten im Bundeskanzleramt getroffen und entschieden: Den wollen wir nicht. Der Fall sollte juristisch entsorgt, dem Mann sollten die Aufenthalts- und Rückkehrrechte entzogen werden. Deutschland hat sich da ausgesprochen schäbig verhalten. Auch im Nachhinein hat es nie eine Entschuldigung für dieses Fehlverhalten gegeben. Man wusste, dort wird gefoltert, also war Deutschland schon aus rein humanitären Gründen gehalten, ihn da rauszuholen und nicht im Stich zu lassen. Das war bitter.
Wie haben Ihre Kollegen auf den Erfolg in den USA reagiert?
Als wir vor dem US Supreme Court den amerikanischen Präsidenten geschlagen haben, habe ich viel Schulterklopfen erfahren. Meine damaligen sechs Kollegen im Büro haben immer gesagt: Das machst du. Wenn du in der Zeit Umsatzeinbußen hast, decken wir das mit ab.
Was kann man aus diesem Fall lernen?
Dass sich Hartnäckigkeit manchmal doch lohnt.