Hamburg. “Das fühlt sich gut an“: Die Hamburgerin liefert in der Laeiszhalle ein umjubeltes Konzert ab und holte “Elsa“ auf die Bühne.
Es gibt Tage, die fordern es geradezu heraus, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen zu feiern. Und vor allem mit all seiner Sinnlichkeit. Die Stadt beginnt endlich wieder zu pulsieren. Und die Sonne macht diesen Herzschlag ganz weich und beschwingt. Vor der Laeiszhalle trinken die Gäste ihren Sekt im warmen Abendlicht. Und im Innern spricht Annett Louisan wenig später wohl sehr vielen aus der Seele, wenn sie sagt: „Das fühlt sich gut an. Endlich – nach zwei Jahren!“ Großer Applaus.
Im März 2020 und 2021 hätte die Hamburger Sängerin dieses Konzert bereits geben sollen. An diesem Sonnabend wird es dafür umso heftiger umjubelt. Zweieinhalb Stunden voller Leichtigkeit und Augenzwinkern, feinem Spott und tiefem Gefühl, mit viel Gelächter und einigen Tränen. Und das alles mit exzellenter Musik zwischen Chanson, Swing und Pop.
Konzertkritik: Louisan überlässt Geldreich die Bühne
Doch bevor Annett Louisan ihre Reise durch fast 20 Jahre Repertoire beginnt, übergibt sie die Bühne an ihren Pianistin und Produzenten Michael Geldreich. „Seine Art zu spielen ist so intuitiv. Und auch heilend“, erklärt sie. Im Laufe des Abends wird sie häufiger äußerst zugewandt über ihre – wirklich hervorragende – Band sprechen. So wie ohnehin eine Künstlerin zu erleben ist, die angenehm geerdet und zugleich ungemein befreit auftritt.
Michael Geldreich spielt ein sanft brodelndes Stück am Piano, das bestens geeignet ist, um anzukommen im Saal. Um den Blick über das Stuckambiente streichen zu lassen. Um kurz die Augen zu schließen und durchzuatmen. Und dann geht es mitten hinein in die schillernde Welt der Annett Louisan. Lebenshungrig, verletzlich, charmant.
In Louisans Stimme schwingt etwas Rauchigeres mit
Sie beginnt mit „Kleine große Liebe“, dem Titelsong ihres 2019 erschienenen Albums. Die fünfköpfige Band spielt luftig auf für diese Ode, mit der Annett Louisan all ihre amourösen Begegnungen besingt: „himmlisch, genial, fatal, verrückt, haltlos, verwegen“. Ihre Stimme durchzieht nach wie vor das soft Schmeichelnde, das naiv Gewitzte. Doch es schwingt da nun auch etwas Rauchigeres, Dunkleres mit, das die Songs noch facettenreicher macht. Sie strahlt, blickt in die Reihen und hoch zu den Balkonen, sie wiegt sich hin und her und genießt diesen Auftakt sichtlich. Noch vor dem zweiten Song stellt sie ihre Band vor: Florian Holoubek am Schlagzeug, Martin Iannaccone an Bass und Cello, Michael Geldreich an Piano und Akkordeon sowie an den Gitarren Hardy Kayser und Martin Kelly.
Trotz aller Lockerungen: Noch sitzt das Publikum mit Maske im Konzerthaus. Die Pandemie steckt in den Knochen. Und Annett Louisan singt einen Song, der sich „wie ein Lockdown-Lied anfühlt“: Mit „Wir sind verwandt“ intoniert sie eine schattige Familienstudie, die wie ein Walzer für einen Horrorfilm anmutet.
Auch Gesellschaftskritik ist im Programm vertreten
Und in die Zeilen von Textdichter Frank Ramond schieben sich gesellschaftskritische Töne, die wie kleine Messerstiche wirken: „Nancy hat gekocht / Keiner hat die Vorspeise gemocht / Heinz hat wieder ‘n Judenwitz gemacht / Nancy rastet aus“ Miniaturdramen, die sich ablösen mit helleren Liedern wie „Zweites erstes Mal“. Der Song sei ihrem Lieblingsmenschen gewidmet, erläutert Louisan. Vermutlich ihrer Tochter. Erzählt diese sachte Ballade doch davon, all die kleinen besonderen Dinge wieder wirklich wahrzunehmen. Einen Schmetterling, die Farbenspiele des Himmels, Schritte im Schnee. Wie ein Schlaflied, dass die Sinne aufweckt.
Um nicht zu arg in Sentimentalität abzugleiten, folgt die locker bluesige Selbstbehauptungshymne „Klein“, in der sie kokett mit den Diskussionen um ihre Körpergröße abrechnet. Und da sie schon einmal in Fahrt ist, bekommen dann auch direkt die Trophäen sammelnden Männer („Du liebst wie ein Arsch“) und allzu perfekten Frauen („Eve“) ihr Fett weg. Mit „Two Shades of Torsten“ wiederum gleicht sie erotische Fantasien mit der „sehr gut gemeinten und funktionalen“ Wirklichkeit ab.
Gastauftritt von Sabrina Weckerlin
Wenn Annett Louisan gestenreich ihre Worte untermalt und mit großem Augenaufschlag in den Saal schaut, erinnert sie mitunter an Mireille Mathieu. Wenn die Band ihren Sound mehr gen Country und Americana driften lässt und sie sich durchs blonde Haar fährt, weht auch mal ein Hauch von Country-Ikone Dolly Parton herüber. Ihre Liebe zur Show inszeniert und persifliert Annett Louisan wunderbar in „24 Stunden“: Die Vorbereitungen für ein Date münden da in einen James-Bond-Song samt Windmaschine für besonders melodramatische Effekte.
Vor dieser amüsanten Einlage begrüßt Annett Louisan noch einen Gaststar: Sabrina Weckerlin, die derzeit die Rolle der Elsa im Musical „Die Eiskönigin“ spielt. Hoch emotional singt sie einen eigenen Song, der die Trauer um ihrem verstorbenen Vater verhandelt. Ein starkes Intermezzo. Tränen und Umarmungen inklusive.
Idee entstand im ersten Lockdown
Annett Louisan zeigt ein ums andere Mal, dass ihre Musik nicht bloß Feel-Good-Momente widerspiegelt. Etwa, in dem sie mit „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ die Geschichtsvergessenheit mancher Menschen kritisiert. Und auch Marianne Rosenbergs Überhit „Marleen“ entlockt sie zartbittere Nuancen. Eine Version, die mehr auf Melancholie setzt als auf Discofox. Zu finden ist die Nummer auf ihrem jüngsten Album „Kitsch“, auf dem Annett Louisan eine hübsche wie wilde Mischung an Songs covert.
Die Idee sei im ersten Lockdown 2020 entstanden. Sie habe Lieder gebraucht, die ihr ein Gefühl von heiler Welt geben. Bilderbuchs „Bungalow“ ertönt nun als Bossa Nova, The Cures „Friday I’m In Love“ als tänzelnde Singer-Songwriter-Nummer. Und „Bitter Sweet Symphony“ von The Verve rauscht wie seichte Meereswogen heran.
Louisan tanzt nur für sich
Gerne hätte man einige dieser Varianten live gehört. Doch das eigene Werk der Sängerin ist umfassend genug, um darin stolz und ausführlich zu lustwandeln. Zu „Das Gefühl“ aus dem Jahr 2004 läuft Annett Louisan in den Saal hinein, ist ganz nahbar. Im Anschluss präsentiert sie ihren neuen Song „Blutschwestern“ – geschrieben für die ZDF-Serie „Wendehammer“, die am 12. Mai anläuft.
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„Bohème“ heißt Annett Louisans Debütalbum. Und immer wieder schimmert durch, wie sehr sie das Laissez-faire und Savoir-vivre favorisiert. Beim fein reduzierten Duett mit Gitarrist Martin Kelly meldet sie erst einmal ein zweites Glas Wein an. Und in „Belmondo“ sehnt sie sich nach Lässigkeit und Leidenschaft. Traumversunken dreht sie sich. Als tanze sie nur für sich.
Konzertkritik: Annett Louisan bedankt sich unter Tränen
Und dann natürlich: „Das Spiel“. Jene Nummer, mit der Annett Louisan ihren Durchbruch hatte. Und die sie auch mit 80 Jahren noch singen möchte, wie sie unter lautem Applaus verkündet. Künstlerin durch und durch. Als wolle sie den Brettern danken, die die Welt bedeuten, stampft sie beherzt auf nach ihrem Song „Die schönsten Wege sind aus Holz“.
Zwei Mal kommt die Sängerin mit ihrer Band für Zugaben zurück auf die Bühne. Standing Ovations, „Bravo“-Rufe, Jubel. Zum schmissigen „Drück die 1“ tanzt und klatscht der Saal. Eine leuchtend rote Blume und ein Geschenk werden überreicht. Der Applaus hält lange an. Das ist Live-Kultur. Energie, Gänsehaut, auch Überwältigung.
Unter Tränen bedankt sich Annett Louisan: „Da merkt man, dass man zuhause ist.“‟
Annett Louisan im Netz: annettlouisan.de