Hamburg. Von Nick Cave bis Grace Jones – „Was ich sah, war dei freie Welt“ stellt 24 Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur in Interviews vor.

Fast genau 30 Jahre ist es her, da hatte ein gewisser Maximilan Bauer aus Kiel eine journalistisch bahnbrechende Idee: Er brachte mit dem Titel „Alert“ die erste Zeitschrift im deutschsprachigen Raum heraus, deren Texte nur aus Interviews bestanden. Vorbild war Andy Warhols Magazin „Interview“. Beiden gemein war die Art der Gesprächsführung, die weniger konfrontativ war, vielmehr dazu diente, das Leben und Wirken der interviewten Person nachzuzeichnen.

Und diese Art des dialogischen Geschichtenerzählens wirkt bei Max Dax, wie sich der Autor und Musiker seit drei Jahrzehnten nennt, offensichtlich bis heute. 14 Jahre nach seinem bemerkenswerten Interview-Klassiker „Dreißig Gespräche“ ist nun ein weiteres Buch des Publizisten und Schriftstellers erschienen, das dieser Darstellungsform noch einmal neue Seiten abgewinnt und Überraschendes bei den Interviewten hervorkitzelt: „Was ich sah, war die freie Welt“ vereint 24 Gespräche mit bekannten und prägenden Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart. Die Frage, wie bei ihnen Kreativität entsteht, aber auch, wie sie leben wollen, schwebt dabei über allem.

Buchtipp: Dax beginnt Gespräche wie ein Spiel

Die Gespräche hat Max Dax, der als Kurator der Show „Hyper – A Journey into Art an Music“ schon in den Hamburger Deichtorhallen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, über mehrere Jahre geführt und gesammelt. Auch deshalb sind sie frei von jeglicher Routine. Ob nun mit Nina Hagen, Quincy Jones, Yoko Ono oder etwa Isabella Rosselini – es entstehen komische, kluge, oft bemerkenswerte Wortwechsel. Immer wieder versteht es Max Dax aufs Neue, das Gespräch wie ein Spiel zu beginnen.

Max Dax: „Was ich sah, war die freie Welt.“ Kanon Verlag, 240 Seiten, 28 Euro.
Max Dax: „Was ich sah, war die freie Welt.“ Kanon Verlag, 240 Seiten, 28 Euro. © Kanon Verlag

Beim New Yorker Entertainer und Jazzsänger Tony Bennett, als 95-Jähriger kürzlich für seine Zusammenarbeit mit Lady Gaga mit einem Grammy ausgezeichnet, eröffnet Dax das Gespräch auf Italienisch, der Sprache dessen Familie. Und weckt mit der Erwähnung einer Schellackplatte des Star-Tenors Enrico Caruso bei Bennett Kindheitserinnerungen. Prompt bedankt sich der Sänger für die Anregung: „Ich werde also noch einmal nach Neapel reisen“ – zugleich die Überschrift dieses amüsant-anrührenden Kapitels.

Was Pop-Diva Grace Jones von Andy Warhol lernte

Eigentlich goutiert fast jedes Gegenüber Max Dax’ Aufschläge mit ungeahnter Offenheit. Es sind Menschen aus Musik, Film, Literatur, bildender Kunst bis hin zur Küche. „Wir sind einfach unglaublich stolz darauf, dass sich die Erde ausgerechnet bei uns auf Island meldet“, sagt die isländische Sängerin und Schauspielerin Björk zu Dax’ origineller Frage, ob die Erde weine, „wenn ein Vulkan ausbricht“. Öfter geht es in den Gesprächen um die Vorstellungskraft der oder des Einzelnen, jedoch auch mal um ganz Profanes.

„Ich persönlich kleide mich eher schlampig“, bekennt der britische Filmstar Helena Bonham Carter („Zimmer mit Aussicht“, „The King’s Speech“, „Harry Potter“). Was Pop-Diva Grace Jones von Andy Warhol fürs Leben lernte, hatte für sie eher verkaufsfördernde Gründe, doch das australische Gesamtkunstwerk Nick Cave offenbart einen Grundsatz seiner Arbeit als Musiker, Dichter und Schauspieler: „Wie ein Spieler setzte ich auf die stärksten Zeilen.“

Buchtipp: Interviews lesen sich wie Kurzgeschichten

Darauf kann auch Max Dax bauen. Fast all seine Interviews lesen sich so prickelnd wie Kurzgeschichten, dialogisch im besten Sinne à la Hemmingway. Und zur Erhellung ist dem Buch ein Gespräch mit Dax selbst vorangestellt.

In dem befragt Autorin und Korrektorin Katarina Holländer ihren auch als Romanautor tätigen Kollegen zu seiner Arbeit, zur Kunst des Gesprächs sowie zum Voyeurismus. Dass es viel Zeit und Arbeit ist, die Gespräche auf ihre Essenz zu reduzieren, versteht sich auch hier.