Hamburg. Ein Hamburger Autorenduo legt sein zweites Werk vor und lotet den Extremismus aus. Und: Smarte Kurztexte einer Kielerin.
Es tümelt und blubbert in diesem Roman mit den vielen Figuren, die so gerne rein und das heißt nordisch wären. Identitäres Geblubber ist immer ungenießbar, aber es gibt hier einen, der hört erstmal unvoreingenommen hin, um dann schon, er ist ja bei Verstand, nachhaltig irritiert zu sein: Wie kann man so borniert sein in der Betrachtung der Welt? Warren ist der Sympathieträger des Romans „SEA. Die Lebenden und die, die sterben“ (KJM Buchverlag, 20 Euro), man kennt den 20-Jährigen bereits aus dem Roman „RIVER“.
Das gilt auch für seine Familie, die im neuen Roman nun ebenfalls wieder auftaucht, eine global beheimatete Mischpoke, die zuletzt in Hamburg-Blankenese lebte. Warren und sein Vater James machen diesmal Ferien, auch von Corona, auf einer schwedischen Ostseeinsel. Dort, wo skandinavische Identitäre und deutsche Ewiggestrige ihre Kameradschaft pflegen. Das Autorenduo Norbert Klugmann und Klaas Jarchow lotet also erneut den Extremismus aus.
Buchtipps: „SEA“ ist ein intelligenter Roman
Im Vorgängerbuch war es um linke Weltanschauung und die heimliche Radikalisierungsgeschichte Blankeneses gegangen. Einen historischen Hamburger Widerhall des Geschehens gibt es auch in „SEA“, außerdem wie zuletzt reale Vorbilder der fiktiven Figuren. Leute wie Horst Mahler, den prominenten ideologischen Irrläufer. „SEA“ ist ein spannender und intelligenter Roman, der sowohl an der Geschichte von unheilvollen Ideen als auch den Menschen, die sie vertreten oder bekämpfen, interessiert ist.
Ein Buch mit ihren Poetryslam-Texten hat der Blankeneser Verleger Klaas Jarchow, der zwischendurch, siehe oben, schreibt, bereits herausgebracht. Nun erscheint ein neues Werk der Kieler Wortarbeiterin mit Spieltrieb Selina Seemann. „#Kleingedrucktes“ (18 Euro) versammelte Kurzprosa und auch ein paar Gedichte.
Buchtipps: Tweets verändern gedruckt ihren Zustand
Was ersteres angeht, wird einmal mehr deutlich, dass Tweets, also die flüchtigste Disziplin des Textens, mit Gewinn in einen anderen Zustand überführt werden können: Gedruckt sind sie die musealisierten Zeugnisse eines frei flottierenden Geistes, für die Ewigkeit festgehalten als komische, ewige Geschichte vom Ich und der Welt.
Gesellschaftsanalyse („werde meine tochter thomas nennen, damit sie daxvorstand werden kann, wenn sie möchte“) und Wortwitz („kann mit achtsamkeit nichts anfangen, schiffe funktionieren auch super mit verdrängung“) wechseln sich mit allerschönsten Poser-Lines ab: „ich hab den literaturnobelpreis nur als sprungbrett genutzt, um poetry slam machen zu können“. Smart.