Hamburg. Christina Pluhar und ihr Barockensemble lösen mit ihrem Programm zum Kreuzweg Begeisterungsstürme aus. Eine Kritik.
Bravorufe, stehende Ovationen, Zugabe nach einer Passionsmusik? Nun ja. Wir befinden uns nicht in einer Kirche, sondern in der Elbphilharmonie. Und aufgeführt wurde keine der Bachschen Passionen, die mit Jesu Tod und stiller Introspektion der gläubigen Seele enden, sondern „Via crucis“, ein Programm zum Kreuzweg mit Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts von stellenweise durchaus beschwingtem Charakter.
Zusammengestellt hat es Christina Pluhar, ihres Zeichens Lautenistin, Gründerin und Leiterin des überaus erfolgreichen Barockensembles L’Arpeggiata. Worin das Geheimnis dieses Erfolgs besteht, das zeigt dieser annähernd ausverkaufte Abend.
L’Arpeggiatas „Via crucis“: Viel los in der Elbphilharmonie
Im Anfang war der Rhythmus. Aber nicht nur da, sondern auf dem Kreuzweg eben auch, jedenfalls wenn es nach Pluhar geht. Ihre Continuo-Gruppe hat sie wie immer wunderbar farbig besetzt: Cembalo, Orgel, zwei Theorben (das sind Lauten mit sehr langen Hälsen und sehr vielen Saiten und einem Klang, der in die Beine geht) und drei Gamben. Dazu klingel-swingt das Tamburin und grollt ein Donnerblech, und Margit Übellacker klöppelt mit virtuoser Grazie Engelsgesänge aus dem Psalterium. Viel los also, klanglich wie optisch.
Das Programm wandelt auf dem Pluhar-typischen Grat zwischen Gefälligkeit und Tiefe. Das ausgewählte Repertoire ist nicht durchwegs geistlich, das war in der Epoche ohnehin noch nicht streng zu trennen. Meditative Betrachtungen des Jesuskindes oder das verzweifelte „Ach, dass ich Wassers g’nug hätte“ von Johann Christoph Bach (dem aus Eisenach, es gab sie in der Familie mehrfach) treffen auf das Duett „Lumi, potete piangere“ aus der Oper „La divisione del mondo“ von Giovanni Legrenzi und, wo es sich dramaturgisch anbietet, Tanzsätze.
Pluhars Rezept wirkt trotz aller Routine frisch
Céline Scheen lotet die introvertierten wie die dramatischen Momente mit voller, betörend dunkler Sopranstimme aus, die Melodik und Ornamentik von Monteverdi und seinen Zeitgenossen scheint ihr sängerisches Zuhause zu sein. Ihr zur Seite steht, etwas blasser, der Countertenor Kacper Szelążek.
- „Turandot“ in der Staatsoper endet mit einem Handlungsknall
- Kaufmann sprengt fast Akustik – Damrau wie flüssiges Silber
- Christiane Karg sorgt in der Elbphilharmonie für Höhepunkt
Die Instrumentalisten dialogisieren mit den Sängern, improvisieren so stilgerecht wie nuancenreich und entfalten die ganze Vielfalt dieser aufregenden Epoche, dass es eine Freude ist. In keiner Sekunde ist zu merken, wie oft Pluhar nach diesem Rezept schon vorgegangen ist. Auf die Frische der Darbietung kommt es an. Auch in der Karwoche.