Hamburg. Die Hamburger Premiere von Puccinis Stück bereitet ohne den kleinsten Durchhänger ihr überraschendes Finale vor. Eine Kritik.

Nur eine Handvoll scharf zugespitzter Akkorde, wie beim Kaltstart in seine „Tosca“ in Rom, und schon ist man mittendrin in dieser Geschichte, die Puccini in „Turandot“ mit Pomp, Pein und Pathos im kaiserlichen Peking ausbreitete. Vorhang auf in der Hamburgischen Staatsoper, und diesmal aber willkommen in einer weit entfernten, kühlen, kargen Märchenwelt. Einer Welt, in der eine angebetete Prinzessin mit brutal schweren Rätseln heiratswillige Adlige erst um den Verstand und dann, wegen falscher Antworten, eiskaltlächelnd um den Kopf bringt. Weil sie als Gottgleiche es kann.

Aber auch, weil sie, im Fall von Turandot glasklar eskaliert, eben nicht anders kann. Ein Prinz wird kommen, Calaf, er wird sich ihren Quiz-Fragen stellen und – klar, „vincerò“ und so – er wird drei von drei Richtigen haben und siegen. Wofür sonst ist man schließlich der heldentenorigste Publikumsliebling in diesem Stück. Denkt er zumindest, in dieser Inszenierung. Auf der Strecke bleiben wird eine Frau, die Sklavin Liù, die wiederum, das aber chancenlos, in den feinen Prinz verschossen ist.

All das stumpf, wie anno dunnemals, in eine gülden zugekitschte Chinoiserie-Kulisse zu stellen, wäre der Modernität der Musik und den finsteren psychologischen Abgründen des Plots nicht gerecht geworden. Und Klischee tut auch in kleineren Portionen immer weh. Sehr reduziert, sehr auf erzählerische Effizienz konzentriert ist diese Bühne; der Palast des greisen Kaisers ist von Bühnenbildner Christian Schmidt kunstvoll verschachtelt worden.

„Turandot“ an der Staatsoper: Videobilder deuten die Fäulnis des Faschismus an

Türe zu Räumen öffnen und schließen sich, geschmeidig unterwürfig. Sie sind imperial hoch, aber auch gleichgültig untermöbliert und erinnern mit ihrer schnörkellosen Klarheit an die 1920er-Jahre, in denen diese Oper entstand. Das einzige, was es hier offenbar im Übermaß gibt, sind runde Deko-Leuchtlampen, die umhergetragen vor allem dekorativ aussehen. Der Hofstaat besteht aus befrackten Herren- und Damenreitern mit einem Hauch Weimarer Republik. Als handliches Machtsymbol dieser Schnösel-Kaste genügt die vom Mandarin geschwungene Reitgerte. Und hinter der nächsten Ecke soll man schon die heranmarschierende Fäulnis des Faschismus riechen, die Videobilder andeuten.

Begonnen hatte die Premiere im Orchestergraben mit einem unnötigen Kraftakt des Dirigenten Giacomo Sagripanti. Im Eifer der Vorfreude auf die vielen Exaltiertheiten und ständig die Stil-Ebenen wechselnden Klang-Zaubereien überzog er es immer wieder mit der Tutti-Lautstärke. Der Staatsopern-Chor, tapfer dagegenhaltend, konnte einem mehrfach leidtun, weil schon bis ins vordere Parkett fast kein Durchkommen mehr war. Im Laufe des Premieren-Abends drosselte Sagropanti den Überschwang und entdeckte die Möglichkeiten, die Philharmoniker blühten mehr und mehr auf, die Musik bekam Farben und Formen, Drive und Dramatik.

Hochtouriges Triebwerk dieses Abends war Gregory Kunde als Calaf. Mit einer Kondition, die für zwei gereicht hätte, machte er aus jedem seiner Einsätze Großes. Dass der Amerikaner nach dem Über-Hit „Nessun dorma“, prächtig und ohne übertriebenes Italianità-Nachschluchzen in den Saal geschmettert, Szenenapplaus bekam, war wenig überraschend. Kaum weniger sensationell gut war Guanqun Yu als Liù. Hinreißend und anrührend, mit schlankem Strahl und unmittelbarer Anmut, durchlitt sie ihre großen Arien, bis zum blutigen Ende in „Tu che di gel sei cinta“. Ein ganz anderes Kaliber war die strenge, grausam gallige Schärfe, die Anna Smirnova ihrer Turandot verabreichte. Furchteinflößend markant geradezu, getrieben und längst nicht mehr an Mitgefühl oder dem Rest der Welt interessiert.

Ein Foto zeigt Giacomo Puccini auf dem Totenbett

Dass Puccini ganz kurz vor Vollendung der „Turandot“ starb und die noch fehlende letzte Szene nachträglich von einem leicht übereifrigen Auftrags-Vollender zum jubilierenden Blitz-Happy End gemacht wurde, ist hinlänglich bekannt. Ob Puccini mit diesem Hauruck-Finale für sein Fragment einverstanden gewesen wäre, hatte sich auch die Regisseurin Yona Kim bei ihrer Konzeptsuche gefragt. Genau dort, wo das Puccini-Original endet, kurz nach dem Selbstmord der unglücklichst verliebten Liù, setzt Kim eine Zäsur und unterbricht den Erzählfluss. Historische Fotos vom Komponisten, noch lebend und schon auf seinem Totenbett, holen kurz die Realität auf die Bühne.

Wie nur weiter jetzt? Von drei mehr oder weniger nahe liegenden Eingriffsmöglichkeiten – einfach aufhören und die Bruch-Kante als solches wirken lassen? Turandot sterben lassen? Calaf sterben lassen, wie auch immer? – suchte sich Kim jene Variante aus, die sehr an die Fabel von dem Frosch und dem Skorpion erinnert. Dessen todbringendes Naturell ist am Ende einfach stärker.

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Über Kims Volte im allerletzten Moment kann man streiten, aber man kann diese Überraschung auch für konsequent halten. Denn wie fürchterlich zerbrochen und traumatisiert Turandot ist, bebilderte Kim bereits viel früher, in einer drastischen Rückblende auf deren Beweggründe und die Gier nach Rache für die körperlichen und seelischen Leiden einer Vorfahrin. So endete also eine Inszenierung, die ohne den kleinsten Durchhänger ihr Finale vorbereitete. Ein Ende mit Schrecken, das mit einem Handlungs-Knall den Vorhang fallen ließ. Und nicht mit der x-ten überzuckerten Liebesheirat aus dem Opern-Bilderbuch.

Weitere Termine: 16. / 19. / 23. / 26. / 29.3., 1.4. jeweils 19.30 Uhr. Karten buchbar unter www.staatsoper-hamburg.de