Hamburg. Das mehrsprachige Gastspiel „Fraternité“ am Thailia Theater hätte mehr Publikum verdient gehabt. Aber es gibt noch einen Termin.
Die Hälfte der Menschheit ist verschwunden. Nicht tot, sondern weg, nach einer Sonnenfinsternis abhanden gekommen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Eine surreale, apokalyptische Ausgangssituation, die Caroline Guiela Nguyen sich für ihre Produktion „Fraternité“ überlegt hat.
Eine „Fantastische Geschichte“ nennt sie den psychologisch durchaus packenden Stoff, der seine Uraufführung beim Festival von Avignon erlebte und nun für zwei Abende am Thalia Theater gastiert. Tatsächlich ist es ein eher außergewöhnliches Genre, das im Rahmen der Reihe „Thalia International“ als Co-Produktion zwischen dem Hamburger Theater und Les Hommes Approximatifs entstand: Science-Fiction-Drama. Auf Französisch, Arabisch, Vietnamesisch und Englisch – mit deutschen Übertiteln.
„Fraternité“: Die Verschwundenen sind ein globales Trauma
Was deutlich komplizierter klingt als es sich präsentiert, da das diverse Ensemble – Bühnenprofis und Amateure aus verschiedenen kulturellen Kontexten zwischen 21 und 81 Jahren – einen ziemlichen Sog entwickelt. Sprachbarrieren sind im Stück ohnehin Teil der Handlung: Irgendeiner muss ständig übersetzen, die Verschwundenen sind ein globales Trauma, jedem fehlt jemand, eine Tochter, ein Bruder, eine Frau.
In einem Sozialhort „für Trost und Sorge“ (das mit seinen bemalten Wänden und Wartebereichen an ein Kinderkrankenhaus oder ein Stadtteilzentrum erinnert) kümmern sich Betroffene umeinander, kochen, umarmen, senden Videobotschaften ins All, während Wissenschaftler nach Wegen aus der Katastrophe suchen und feststellen: Der Schmerz der Menschheit hat eine kosmische Auswirkung. Das Leid wiegt derart wuchtig, dass es das Universum lahm legt. Die einzige Chance besteht darin, die Erinnerungen an die Verschwundenen aus den Herzen zu saugen, per Gedächtnislöschmaschine zu tilgen, um den Kosmos in Schwung zu setzen und auf die nächste „große Finsternis“ zu hoffen.
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Verzweiflung, Trauer, einsickernde Erkenntnis: Das Leben ist perdu
Das ist in seiner Verzweiflung, Trauer und einsickernden Erkenntnis, dass das gewohnte Leben wohl perdu ist, einerseits „fantastisch“ (und erinnert ein bisschen an die Mystery-Serie „Lost“), andererseits durchaus gegenwärtig. Zeitenwende und so. Aber: Alles auch merkwürdig esoterisch hier, die wabernden Sternennebel auf der Leinwand, die Pseudo-Wissenschaft, die Amerikanerin, die immer ein bisschen mehr zu wissen scheint. Trotzdem schade, dass am ersten Abend so viele Zuschauerplätze frei blieben. Als wäre ein Teil des Publikums bei der Sonnenfinsternis direkt mit verschütt gegangen.
„Fraternité“, Thalia Theater, heute 18 Uhr, Karten unter www.thalia-theater.de