Hamburg. Das Theater lebt von der Unanständigkeit, findet Herbert Fritsch. Er bringt jetzt Bernhards „Jagdgesellschaft“ ans Schauspielhaus.

Mit Bühnen-Hits wie dem opulent in Szene gesetzten „Die Schule der Frauen“ wurde der Schauspieler und Theaterregisseur Herbert Fritsch auch am Deutschen Schauspielhaus zu einem gefragten Mann. Gerade richtet er Thomas Bernhards „Die Jagdgesellschaft“ für die Hamburger Bühne ein. An diesem Sonnabend ist Premiere. Im Gespräch erweist er sich als streitlustiger Zeitgenosse, der keine Kontroverse scheut.

Sind es gute Zeiten für eine Komödie?

Herbert Fritsch: Ich weiß noch nicht, ob es wirklich eine Komödie wird, aber für eine Komödie ist immer eine gute Zeit. In der „Jagdgesellschaft“ steckt ja viel Bösartigkeit drin, über die man lacht. Lachen ist per se keine Respektlosigkeit, sondern eine Befreiung.

Sie sind ja bekannt für eine radikale Künstlichkeit auf der Bühne. Für Hysterie und Anarchie. Wie hat sich Ihr Zugang zum Theater in den letzten Jahren gewandelt?

Herbert Fritsch: Ich versuche, die Farbigkeit der Expressivität meiner Anfänge noch mehr zu konkretisieren, noch mehr zu verschärfen, noch stärker zu behaupten. Weil ich auch in der aktuellen politischen Situation das Gefühl habe, dass sie eine starke Expressivität herausfordert. Es gibt nicht mehr die bleichen Gesichter, die keinen Ausdruck haben, sondern es kommen wieder stärkere Ausdrücke ins Gesicht durch die ganze Emotionalität von Schmerz und Freude. Die Musik bekommt eine noch viel größere Bedeutung, weil sie die Seele streichelt.

Warum brauchen wir Ihrer Meinung nach gerade jetzt Thomas Bernhard?

Herbert Fritsch: Viele sagen ja, dass er ein bisschen altmodisch sei, weil er Sachen bringt, die einem aufstoßen. Aber genau das hat mir gefehlt. Diese Anständigkeit, die sich da ausbreitet vor allem in den Theatern, dass alle so furchtbar korrekt sind, tötet so viel ab. Das Theater lebt von der Unanständigkeit. Davon, dass man Grenzen überschreitet, Tabus bricht. Das wollen viele nicht mehr. Alles soll sich mehr zum Streichelzoo umwandeln. Ich finde das schade, und da kommt mir der Thomas Bernhard gerade recht. Mit seiner Bissigkeit, seiner Frechheit, der Unverschämtheit, die in den Texten steckt, und der enormen Musikalität.

Das Stück ist ja eigentlich ein Drama. In „Die Jagdgesellschaft“ sind ja ein Wald und ein General von unheilbarer Krankheit und Verfall bedroht. Außerdem wird der General über diese beiden Tatsachen von seiner Frau belogen. Was interessiert Sie daran?

Herbert Fritsch: Das erfahre ich oft erst während der Proben, wenn ich anfange, den Text zu begreifen. Ich versuche, die Spannung so aufzubauen, dass das Rätsel darin viel größer wird. Ich will nicht Dinge so durcherklären. Die Musik muss einen treffen, auch die Wörter müssen etwas auslösen. Was das genau sein wird, kann ich noch nicht sagen.

Das Drama erzählt ja den Niedergang eines Nationalsozialisten. Wie aktuell erscheint Ihnen der Stoff?

Herbert Fritsch: Aktuelle Bezüge lassen sich immer finden. Ich glaube, dass es besser ist, in der „Ilias“ zu lesen als die Nachrichten zu schauen. Wenn ich in „Die Jagdgesellschaft“ den Nazi-General, die Diktatur, das Patriarchat extremer herausstellen würde, hätte man gar keine Gedankenfreiheit mehr. Das Schöne an der Kunst ist ja, dass sich das Denken aufsplittert in ganz viele Aspekte, dass man überall Fragen und auch Antworten sieht.

Vor einigen Jahren sind Sie am Thalia Theater in Ihrer Inszenierung „Der Raub der Sabinerinnen“ kurzfristig eingesprungen als der Hauptdarsteller ausfiel. Sie sind ja dafür bekannt, den Text einmal zu lesen, ihn dann nicht mehr mit auf die Probe zu bringen, sondern ihn sich von den Schauspielern vorspielen zu lassen. Können Sie selbst jede Rolle ausfüllen?

Herbert Fritsch: Nein, ich kann mir das nicht merken. Der entscheidende Punkt ist der, dass man sagt, ich weiß nichts. Das ist ein viel besserer Ausgangspunkt als zu sagen, ich weiß alles. Das halte ich für arrogant, verdrängend, alle anderen für blöd haltend. Es war ja eine Zeit lang so, dass sich alle im Theater als moralische Instanz gefühlt haben gegenüber dem Publikum. Und da sage ich Nein, wir sind die perversen Schweine auf der Bühne, die Unanständigen, die nix verstehen, und das zeigen wir jetzt. Das ist mein Arbeitsprinzip. Wenn ich glaube, zu viel zu wissen, werde ich diktatorisch und zwinge sie irgendwohin. Ich fordere auch bestimmte Sachen und reagiere, es bleibt ein Dialog. Andere schauen sich am Vorabend der Probe das Bühnenbild an, und am nächsten Tag muss das reingerummst werden, und alle werden gezwungen und geknechtet, bis das so steht, wie es am Bühnenbildmodell war. Mir geht es letztlich darum, anders zu denken.

Ist das ein Plädoyer für modernes Querdenkertum?

Herbert Fritsch: Im Silicon Valley galt das Querdenken als produktiv. Jetzt ist es besetzt worden von etwas ganz Schrecklichem. Das ist wirklich grauenhaft. Picabia hat gesagt: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Das meine ich mit Querdenken: eine andere Offenheit. Alle möglichen Gedanken erst mal zuzulassen. Dafür ist die Kunst da, dass ich sie zulasse und sie aushalte. Und eine Demokratie muss alle Meinungen aushalten. Diese Rechthaberei finde ich uninteressant.

Das Theater wandelt sich. Vielfalt und Machtverhältnisse sind heute ein großes Thema. Arbeitsweisen von Regisseuren wie Frank Castorf, mit dem Sie lange an der Berliner Volksbühne als Schauspieler gearbeitet haben, werden hinterfragt. Fühlen Sie sich als ‚alter weißer Mann‘?

Herbert Fritsch: Als alter, weißer, heterosexueller Mann. Was Frank Castorf betrifft, finde ich nicht in Ordnung, wie über ihn gesprochen wird. Dort, wo es am lautesten ist, wo gegen das Patriarchat gewettert wird, sind die schrecklichsten Patriarchen unterwegs. Das sind Wölfe im Schafspelz. Bei Castorf war es manchmal echt grenzwertig. Aber man muss sagen, er hat an diesem manisch-depressiven Haus mit seiner ganzen Emotionsbreite etwas Außergewöhnliches hervorgebracht. Die Politik hat es radikal von heute auf morgen beendet. Das war pa­triarchal. Wir hatten Obdachlosentheater. Es kamen unterschiedliche Ethnien auf der Bühne vor. Das war ganz normal. Über Diversität wurde gar nicht geredet. Jetzt wird das alles ganz piefig. Das ist für mich absolute Langeweile. Wir haben uns oft nicht verstanden. und er war auch nicht so freundlich, aber er hat mich alles machen lassen.

Ein Kritiker nannte Sie als Schauspieler einmal eine „Mann gewordene Strapaze“. Begreifen Sie eine solche Aussage als Kompliment?

Herbert Fritsch: Ja, ich wurde auch Horrorkasperl und Zappelphilipp genannt. Das finde ich wirklich toll. Heute regen sich junge Schauspieler auf, wenn sie verrissen werden. Ich wurde dauernd runtergemacht und verrissen. Auch als Regisseur habe ich vieles abbekommen. Das gehört dazu. Das ist wunderbar. Da ist Leben in der Bude.

Strapazieren Sie heute auch Ihre Schauspielerinnen und Schauspieler?

Herbert Fritsch: Ich sage ihnen, dass ich ein unan­genehmer Zuschauer bin. Wenn mir was auffällt, lasse ich nicht locker und unterbreche auch. Ich bin eine richtige Nervensäge.

„Die Jagdgesellschaft“ Premiere Sa., 2. April (Platzierung ohne Abstand), wieder am 9., 15. und 23. April (mit Abstand), jeweils 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de