Hamburg. Beethovens „Missa solemnis“ war in der Laeiszhalle ein aufwühlendes Konzerterlebnis – mit tragischen aktuellen Bezügen.
Die Suche nach dem Sinn, nach einer tröstenden Kraft, die unser Leben leitet und die Dinge zum Guten wendet: dieses urmenschliche Bedürfnis ist gerade besonders aktuell.
Auch und gerade deshalb hatte die Aufführung von Beethovens „Missa solemnis“ in der Laeiszhalle eine außergewöhnliche Intensität. Man musste kein gläubiger Christ sein, um die spirituelle Dimension der Musik zu verstehen – weil Sylvain Cambreling, die Symphoniker Hamburg und ihre vokalen Mitstreiter deren universale Botschaft so eindringlich formulierten.
Bewegendes Konzert in der Laeiszhalle mit aktuellem Bezug
Das Flehen darum, gehört zu werden, im Kyrie, das fordernde und zerbrechliche Töne vereint. Der unbändige Wille, an etwas Großes zu glauben, verkörpert durch die übermenschliche Energie im Gloria. Und natürlich die Bitte um Frieden.
Ganz am Ende, im „Dona nobis pacem“, dessen Idylle Beethoven mit Fanfaren von Pauken und Trompeten in Frage stellt. Ein Anklang an die Militärmusik, an die Realität des Krieges. Wer hätte gedacht, dass uns diese Passage heute wieder so nahe geht? Die verzweifelten Rufe des Solosoprans treffen ins Mark. Wie so manches an diesem Abend.
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Cambrelings entfacht "emotionale Wucht" in der Laeiszhalle
Sylvain Cambreling entfacht die emotionale Wucht durch viele Nuancen im Ausdruck und einen klaren Plan. Er hat die Balance zwischen Orchester und Gesangsstimmen – eine der zentralen Herausforderungen des Stücks – souverän im Griff.
Am Beginn des Gloria etwa dimmt er die Symphoniker nach der Fortissimo-Eröffnung sofort ab, damit der Alteinsatz des Chores durchkommt. Das tut er auch, und wie!
Sechzigköpfiges Ensemble sorgt für exzellentes Konzerterlebnis
Mit dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brno hat Cambreling ein exzellentes, etwa sechzigköpfiges Ensemble auf der Bühne, das dem üppig besetzten Orchester ein gleichberechtigter Partner ist und die für Beethoven nötige Strahlkraft mit feiner Klangkultur vereint. Hinreißend etwa das Piano der Tenöre im „Et incarnatus est“, gebettet auf den weichen Sound der Bratschen.
Auch die Solisten – Sarah Wegener, Sophie Harmsen, Robert Dean Smith und Franz-Josef Selig – fügen sich wunderbar ein und stellen ihre vokale Power in den Dienst des großen Ganzen. Sie stehen nicht vorne an der Rampe, sondern etwas nach hinten gerückt, in einem offenen Halbkreis rund ums Dirigentenpult.
Gerade die beiden Frauenstimmen verschmelzen immer wieder zu einer Einheit. An den Höhepunkten geben sie den Klangmassen den Extra-Kick. Doch das, was am meisten berührt, sind die Momente der Verletzlichkeit, die uns – auf eine Weise, wie es vielleicht nur Musik vermag – vermitteln, dass wir nicht alleine sind.