Hamburg. William Boyds wiederveröffentlichter Roman „Eines Menschen Herz“ ist überall dabei, wo im 20. Jahrhundert Geschichte geschrieben wird.

Im Spanischen Bürgerkrieg fliegen ihm die Granaten um die Ohren; den Zweiten Weltkrieg erlebt er als Aufpasser des Herzogs von Windsor auf den Bahamas; die 50er-Jahre führen ihn in die schillernde Kunstszene von New York City. Logan Gonzago Mountstuart, 1906 in Uruguay geboren, führt ein gefährliches, aufregendes Leben, das erst 1991 mit seinem Tod in Frankreich endet.

Er ist überall dabei, wo im 20. Jahrhundert Weltgeschichte geschrieben wird, er trifft berühmte Persönlichkeiten wie Virginia Woolf, Ernest Hemingway, Pablo Picasso oder Jackson Pollock. Mountstuarts Leben ähnelt der Kinofigur des Forrest Gump, der durch die Zeitgeschichte läuft. Der Leser ist immer hautnah dabei, denn Mountstuart notiert alles, was ihm zustößt und worüber er sinniert, in neun Tagebüchern.

Buchkritik: Boyd vermischt Fakten und Fiktion

„Eines Menschen Herz“ nennt der Schriftsteller William Boyd seinen Roman über diese Figur, die Schriftsteller, Kriegsberichterstatter, Spion und Kunsthändler, vor allem aber Lebenskünstler mit einem Hang zu hochprozentigen Drinks und schönen Frauen ist. Die Tagebücher sind natürlich fiktiv, einen Shelley-Biografen und Journalisten namens Mountstuart hat es nie gegeben.

William Boyd: „Eines Menschen Herz“, 654  Seiten, Kampa Verlag, 24 Euro.
William Boyd: „Eines Menschen Herz“, 654 Seiten, Kampa Verlag, 24 Euro. © Kampa Verlag

Doch Boyd, 1952 geboren, vermischt Fakten und Fiktion auf so packende Art, dass man beim Lesen oft vergisst, dass man sich in einem Roman und nicht in den Erinnerungen einer realen Figur befindet. „Eines Menschen Herz“ ist bereits 2005 in der deutschen Erstausgabe erschienen, der schweizerische Kampa-Verlag hat sich der Werke von William Boyd angenommen und seine Romane als Hardcover wiederveröffentlicht.

Mountstuart beschreibt ausführlich sein Liebesleben

Logan Mountstuarts Leben ist eine einzige Turbulenz. Das beginnt bereits in seiner Studienzeit in Oxford, wo er mit dem Schriftsteller Peter Scabius und dem Galeristen Ben Leeping Freunde fürs Leben findet, und setzt sich über die Jahrzehnte fort.

Ausführlich beschreibt Mountstuart sein Liebesleben, drei Ehen führt er, die Affäre mit Peter Scabius’ Frau Tess verfolgt ihn ein Leben lang, die Beziehung zu einer 16-Jährigen in New York zwingt ihn, die USA Hals über Kopf zu verlassen und sein Leben in der Bo­hème von Manhattan aufzugeben.

Buchkritik: Boyd lässt Figur im Plauderton erzählen

Boyd lässt seine Figur amüsant und detailgenau erzählen, oftmals in einem Plauderton, aber er schafft es genauso eindringlich, die Dämonen zu beschreiben, mit denen Mountstuart zu kämpfen hat – wie die Verzweiflung nach dem Tod seiner Frau Freya und seiner Tochter Stella oder einer zunehmenden Lethargie als Folge von Depressionen und übermäßigem Alkoholkonsum.

Beklemmend ist auch die Beschreibung von Mountstuarts Altersarmut im „Zweiten Londoner Tagebuch“, das Mitte der 1970er-Jahre spielt. Aus dem Dandy und Lebemann ist eine verkrachte Existenz geworden, die sich von Hundefutter ernährt. Die letzten Jahre lebt Mountstuart zurückgezogen in Frankreich. Das Tagebuch endet damit, dass er auf sich anstößt: „Auf die Höhen und die Tiefen. Meine private Achterbahn. Nein eine Achterbahn, das wäre zu glatt – eher ein Yo-Yo, ein hüpfendes, trudelndes Spielzeug in der Hand eines ungeschickten Kindes ...“