Hamburg. Das Ernst Deutsch Theater zeigt mit Schillers “Don Carlos“, dass es aussichtslos ist, an das Gewissen eines Tyrannen zu appellieren.
Auch an der Fassade des Ernst Deutsch Theaters prangen die ukrainischen Farben. Gelb und blau leuchten sie über den Friedrich-Schütter-Platz, direkt neben dem Premierentitel des Abends: Friedrich Schillers „Don Carlos“. Nicht weniger als die Freiheit in Europa steht hier auch auf der Bühne auf dem Spiel.
Es geht um brutale Machtfülle, um Vaterlandsliebe, Heldentum und Verrat – und um die gefährlich gekränkte Eitelkeit Einzelner. Und, insbesondre in diesen Zeiten ein spannender wunder Punkt, es geht (auch) um die spürbare Angst des alternden Tyrannen. Vor dem eigenen Volk, vor Rebellion (zu Hause und in gewaltvoll besetzten Gebieten), vor den engsten Beratern.
Theaterkritik: Don Carlos hat Liebeskummer
Tatsächlich können sich die Figuren in Mona Kraushaars Inszenierung an der Mundsburg nie ganz sicher sein, wer gerade lauscht. Acht Mikrofone hängen aus dem Schnürboden (Bühne: Katrin Kersten), in einem Halbkreis sind die permanent anwesenden Spieler um eine freie Fläche gruppiert, die wie eine Arena erwartungsvoll auf den nächsten Zweikampf zu lauern scheint. Ästhetisch ist das interessant, akustisch nicht immer ganz einfach, wenn die Stimmen mal von diesem, mal von jenem Mikrofon eingefangen werden – und mal auch irgendwo im Hall dazwischen verenden.
Der von Sebastian Egger aufgewühlt, ungestüm und zugleich etwas ätherisch gegebene spanische Kronprinz Don Carlos hat Liebeskummer, seit „acht höllenbangen Monden“. Happy End unwahrscheinlich, denn leider liebt er „lasterhaft“: seine junge Stiefmutter und frühere Verlobte nämlich, die Königsgemahlin (erhaben und souverän: Anne Rohde) des kalten, immer misstrauischen Philipp II. Weniger tugendhaft ist die Prinzessin von Eboli, die Karla Sengteller sehr erfrischend spielt: mal keck, mal existenziell leidenschaftlich.
Verzweiflung wirkt in Kriegszeiten umso stärker
Carlos’ Freund, der idealistische Marquis von Posa (trifft den Ton euphorisch und etwas überspannt: Enzo Brumm), hilft in Liebesdingen, hat aber vor allem eine politische Agenda: den Infanten zu überzeugen, sich in die besetzte Provinz Flandern schicken zu lassen, um den dort aufbrechenden Konflikt friedlich zu lösen – im Sinne der Freiheit. Nicht so sehr im Sinne des Königs.
Als Posa überraschend dessen Vertrauen erlangt, versucht er „einen Funken Wahrheit in des Despoten Seele“ zu argumentieren – mit der berühmten Aufforderung, den Untertanen „Gedankenfreiheit“ zu gewähren. Schon immer war diese Szene eine besonders aufwühlende. In akuten Kriegszeiten wie den gegenwärtigen wirkt die Verzweiflung umso stärker – und umso hoffnungsloser der Versuch, einem Gewaltherrscher ans Gewissen zu appellieren.
Theaterkritik: Publikum wird Geduld abverlangt
Hannes Hellmann spielt den König als einen Machthaber, der ahnt, dass seine Zeit abgelaufen ist und dessen Alltag von Argwohn vergiftet ist. Das verwundete Tier ist jedoch stets das gefährlichste. Und so zeigt Hellmann, der seine Sache bravourös macht, zwar einerseits die Lächerlichkeit des verletzten männlichen Egos. Andererseits aber auch die verhängnisvolle Macht des Einzelnen, um den kein Korrektiv mehr ist.
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Mona Kraushaar verlangt ihrem Publikum Geduld und Sitzfleisch ab. Auf mehr als drei Stunden strecken sich die Dialogszenen, die in sich stark gespielt sind, aber durch unentwegtes Auftürmen und Entwirren von Sitzmöbeln auf der Arenafläche wenig hinzu gewinnen.
„Don Carlos“ bis 16.4., Ernst Deutsch Theater, (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz, Karten: T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de